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Nevermore

Nevermore

Titel: Nevermore Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kelly Creagh
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rechteckige Silberrahmen des Rings nämlich einen wuchtigen schwarzen Stein. In der Mitte prangte ein silbernes V statt eines T und an der Seite, wo sich normalerweise das Falkenkopfemblem der Schule befand, war das Profil einer Krähe, eines Raben oder irgendeines anderen Vogels zu sehen - jedenfalls war es kein Falke. Ihr Blick schweifte zu seinem Geldbeutel.
    Sie sah zu der offen stehenden Tür hinter der Theke, dann wieder zu dem Geldbeutel. Draußen fiel ein Mülltonnendeckel zu.
    Rasch griff sie nach seinem Geldbeutel und öffnete ihn. Als Erstes entdeckte sie einen kleinen Plastikeinschub, der für Bilder vogesehen war. Darin befand sich ein ovales Foto, das das Mädchen aus der schwarz gewandeten Oh-weh-mir-Truppe zeigte, mit der sich Varen jeden Morgen bei dem Heizkörper traf. Das Mädchen - Lacy? -, das ihm den roten Umschlag gegeben hatte.
    War sie etwa seine Freundin.
    Sie lächelte nicht. Ihr rundes Gesicht sah eher trotzig aus, so als ob sie den Betrachter wortlos dazu herausforderte, sie direkt anzusprechen. Ihr dichtes, langes schwarzes Haar war durch den Rand des Bildes abgeschnitten und ihre weinrot gefärbten Spitzen waren nicht zu sehen. Die vollen Lippen waren tiefrot geschminkt und ihr über das Auge hinaus gezogener, spitz zulaufender Lidstrich ließ ihre riesigen dunklen Augen noch größer wirken. Diese Augen, zusammen mit der kupferfarbenen Haut… sie sah wie eine ägyptische Göttin aus.
    Varens Musik brach ohne Vorwarnung ab und plötzliche Stille breitete sich im Raum aus. Mit fahrigen Händen klappte Isobel den Geldbeutel wieder zu und legte ihn zurück auf den Tisch. Sie ließ sich auf einen der Stühle fallen, schlug die Beine übereinander und versuchte, gleichgültig auszusehen.
    Mit seiner schwarzen CD-Box in der einen und seiner Jacke in der anderen Hand tauchte Varen aus dem Hinterzimmer auf. Er legte die CD-Box ab und zog die abgetragene jägergrüne Jacke an (die mit dem Umriss des toten Vogels auf dem Rücken). Dann stopfte er seinen Geldbeutel in seine Potasche und hakte die Ketten an seinen Gürtel.
    Isobel beobachtete ihn verstohlen. Ein schwarzer, mit Silbernieten besetzter Gürtel umgab seine schmalen Hüften. Unter dem weiten T-Shirt sah er dünn und blass aus, aber trotzdem kräftig. Sie ertappte sich dabei, dass sie sich fragte, ob sich seine Haut wohl warm oder vampirkalt anfühlte.
    Sie wandte ihren Blick ab und starrte stattdessen aus dem Schaufenster. Doch in der Scheibe war sein Spiegelbild zu sehen. Isobel beobachtete jede seiner Bewegungen, als er seine Ringe überstreifte, einen nach dem anderen. Seine sehnigen, anmutigen Arme bewegten sich so, als führten sie ein Ritual durch. Isobel musste blinzeln, unfähig, ihren Blick von ihm zu lösen.
    Als er fertig war, schnappte Varen sich seine CD-Box und klappte sie zu. »Komm«, sagte er. »Ich fahr dich nach Hause.«
     
    »Die Nächste rechts«, sagte sie, »bei dem Springbrunnen.«
    Die Scheinwerfer von Varens Auto glitten über den Brunnen, als er in ihr Wohnviertel, Lotus Grove, einbog. Er fuhr einen schwarzen 1967er Cougar, dessen Inneres in einem dunklen Weinrot gehalten war - ein wirklich schöner Wagen.
    Der Cougar, der knurrte und schnurrte wie der Puma, dem er seinen Namen zu verdanken hatte, kam vor ihrer Einfahrt zum Stehen. Isobel ließ sich Zeit damit, sich abzuschnallen. Sie hatten in der Eisdiele wieder über Poe gesprochen. Das konnte doch kein Zufall gewesen sein, oder? Es musste eine Andeutung gewesen sein, richtig?
    Die ganze Heimfahrt über hatte sie darüber nachgedacht. Um ehrlich zu sein, hatte sie schon die ganze Zeit darüber nachgedacht, schon seit er ihr die CD von Cemetery Sighs vorgespielt hatte. Doch sie hatte noch nicht den Mut gefunden, ihn zu fragen. Aber jetzt - sie standen vor ihrem Haus und gleich würde sie aus dem Auto steigen - konnte sie das Jetzt-oder-nie-Gefühl, das in ihrem Magen grummelte, nicht mehr ignorieren.
    »Hör zu«, begann sie. Sie drehte sich in ihrem Sitz um, um ihn anzusehen, auch wenn er ihren Blick nicht erwiderte. Vielleicht wusste er, was jetzt kam. Trotzdem sprang Isobel ins kalte Wasser. Was hatte sie denn schon zu verlieren? »Hast du … vor, das Projekt alleine zu machen?«
    Er sagte nichts, starrte nur durch die Windschutzscheibe.
    Isobel wartete. Nach einem scheinbar ewigen Schweigen war sie sich sicher, dass wohl nichts mehr kommen würde, und deutete das als ein Ja. Sie legte die Hand auf den Türgriff und zog – sie hatte keine Lust,

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