Nevermore
gewissen Grad von ihr verlangen würden, Danny herumzukutschieren.
»Aber ich hole nicht auch noch deine Freunde ab und fahre jeden nach Hause, an zehn verschiedene Orte«, sagte sie noch, bevor sie einschlug.
Danny rollte die Augen. »Dafür haben wir doch Fahrräder. Oh Mann.«
»Also, was soll ich machen, wenn Mom und Dad versuchen, in dein Zimmer zu gehen?«, fragte Danny, während er seiner Schwester dabei zusah, wie sie ihren Rucksack mit Schreibblock, Stiften und den Poe-Büchern, die sie aus der Bibliothek ausgeliehen hatte, belud.
»Lass sie bloß nicht rein.« Mal im Ernst, hatten sie das denn nicht schon besprochen?
»Ja, aber ich kann sie nicht wirklich davon abhalten. Ich kann mich ja kaum selbst davon abhalten.« Er lehnte sich gegen ihren Schminktisch und öffnete eine der Schubladen.
»Das solltest du aber«, sagte Isobel und machte die Schublade wieder zu. »Du weißt, dass unser Deal vom Tisch ist, wenn sie es herausfinden.« Sie schulterte ihren Rucksack und ging zum offenen Fenster. Kühle Luft kam herein, kräuselte die Spitzenvorhänge und blies den Geruch verwelkter Blätter und den versengten, fast schon scharfen Duft des Herbstes herein. Bis jetzt war es ein schöner Tag gewesen, wenn auch etwas zu kühl für Isobels Geschmack. Wenigstens sah es nicht nach Regen aus.
Sie setzte sich rittlings auf die Fensterbank, zog den Kopf ein und schob ihn nach draußen, bevor sie ganz aufs Dach hinauskletterte. Vor ihrem Fenster gab es einen kleinen Dachvorsprung - dort saß sie oft, wenn sie allein sein wollte. Die Dachziegel knarzten unter ihren Schuhen. Sie versuchte, nicht nach unten zu sehen. Stattdessen blickte sie über ihre Schulter zu Danny, der sich aus dem Fenster gelehnt hatte.
»Denk dran«, wollte Isobel ihn erinnern, musste den Satz gar nicht zu Ende führen. er
»… wenn sie anfangen, Fragen zu stellen, hast du Kopfschmerzen und schläfst.«
»Und?«
»Und ich soll das Garagentor im Auge behalten, weil du um Punkt halb acht zum Abendessen wieder da bist, denn sonst verwandelst du dich in einen Außerirdischen zurück und wirst auf deinen Heimatplaneten abgeschoben.« Während Danny das herunterbetete, hatte er das pausbäckige Gesicht auf die Hände und seine Ellbogen auf die Fensterbank gestützt. Als er fertig war, lächelte er seine Schwester an.
Isobel verdrehte die Augen, wandte ihm den Rücken zu und tastete sich vorsichtig am Dach entlang.
»Es geht mich ja nichts an«, hörte sie Danny hinter sich, »aber kannst du mir mal sagen, warum du Kopf und Kragen riskierst und dich rausschleichst?«
»Normalerweise«, antwortete Isobel, als sie den Rand des Daches erreichte, wo das weiße Rankgitter nach unten führte, »sind Informationen dieser Art streng geheim.« Sie nahm ihren Rucksack ab und ließ ihn auf den Rasen fallen. Dann drehte sie sich um und setzte ihre Schuhspitzen in das Gitter. »Aber wenn du es unbedingt wissen willst …« Sie begann vorsichtig hinunterzuklettern. »… ich muss Hausaufgaben machen.«
Die Tür knarzte und ein rostiges Glockenspiel läutete, als sie den alten Buchladen betrat.
Die Luft war muffig und zum Schneiden dick und der Geruch von Staub und alternden Büchern erschwerte das Atmen.
Vor ihr erstreckte sich ein langer und schmaler Raum, an den Wänden standen hohe, wuchtige Bücherregale, die fast bis unter reichten. Über ihrem Kopf brannten ein paar müde Lampen in einem dumpfen Goldgelb und brachten nur wenig Licht in die angehäuften Schatten.
Langsam wagte sich Isobel weiter vor. Sie konnte Varen nirgendwo entdecken, doch andererseits konnte sie generell noch nicht viel erkennen. Vorsichtig umrundete sie einen Stapel antik aussehender Wälzer. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass dieser Laden sicher gegen mindestens zehn Brandschutzregeln verstieß. Sie befand sich jetzt zwischen zwei Regalen und überlegte kurz, laut zu rufen, aber aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht dazu durchringen, diese Totenstille zu durchbrechen.
Ihr Blick wanderte nach oben, über die etikettierten Rücken zahlloser Bücher. Jedes war mit einer Nummer und einem Datum versehen. Sie hatte fast das Gefühl, durch Katakomben zu wandern.
Als sie am Regalende angekommen war, lugte sie um die Ecke und erspähte eine Ladentheke. Na ja, eigentlich sah sie nur einen Haufen Bücher, die sich auf etwas stapelten, was irgendwann mal eine Ladentheke gewesen sein musste. Dahinter saß ein alter Mann mit wirrem weißem Haar, das in alle Richtungen
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