Neverwake
Esch entgege n warf, weil seit Taders Passage munter weitererzeugt worden war, war einfach vollkommen absurd und spottete jeglicher Spielbarkeit. Als er in der Sechzehn ankam, hatte Esch von seinen noch 86 Reserveschiffen mehr als die Hälfte verloren und nun nur noch 41 auf dem Konto stehen. Er fühlte sich müde und ausgebrannt und hatte eigentlich gar keine Lust mehr, weiter zu spielen. Aber dies hier war ja kein Spaß. Dies war ein Job, er wurde gut dafür entlohnt, und statt eine Auszeit zu nehmen, nutzte er die labyrinthische Beschaulichkeit von Level Sechzehn, um den Gleiter auch einfach mal nur in einer Ecke zu parken, die Augen zu schließen und sich ein Vierte l stündchen zu entspannen.
Anschließend flog er weiter. Die Sechzehn, die Siebzehn und die Achtzehn boten keinerlei Widerstand, waren nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine dreidimensionale Sightseein g tour durch State-of-the-Art-ComputergraFX. Die Neunzehn war noch lichtloser als bei Taders Durchflug, denn Taders Streusalven hatten den meisten der äußerst spärlichen Leuc h telemente den Garaus gemacht, so daß Esch meistens im Dunkeln an Wänden entlangschabte und dennoch die Orienti e rung verlor, weil der Grundriß dieses Levels unbarmherzig wechselte. Nach zwei Stunden sinnlosem Herumgetaste gab Esch entnervt auf, aktivierte eine von seinen transportablen Speichereinheiten und verließ den Freeze-Frame, indem er sich das Headset vom Kopf schnallte.
Das geheime Zimmer hatte keine Fenster und bot keinerlei Aufschluß darüber, wie viele Stunden mittlerweile in der wirklichen Welt vergangen waren, aber die Assis, die sich besorgt um Esch kümmerten und ihm die Elektroden abna h men, machten ihm klar, daß es inzwischen tiefste Nacht war und sie sich schon gefragt hatten, ob er keine einzige Pause machen wollte. Tader hatte so etwa alle sechs Level eine Auszeit genommen, aber Tader hatte natürlich auch länger gebraucht, um durch die noch unbekannten und noch bevölke r ten Level durchzukommen. Auf die Frage, ob es etwas Neues von Tader gäbe, bekam Esch die Antwort, Taders Zustand sei »unverändert und stabil« und » nach allem, was man feststellen konnte«, spiele Tader immer noch.
Esch bestellte sich etwas zu essen und zu trinken und ging unterdessen aufs Klo. Dr. Berba war nirgendwo zu sehen, sie hatte sich für ein paar Stunden in einen Rekreationsraum in den oberen Stockwerken aufs Ohr gelegt. Esch überlegte, ob er auch ein paar Stunden schlafen sollte, aber er fühlte sich nicht wirklich müde, nur etwas ausgelaugt. Dieses Phänomen war jedem Virt wohlbekannt. Ein wirklich packendes Spiel ließ einen nicht mehr los, drängte die natürlichen Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlaf zugunsten einer › Noch ein Level ‹ oder › Noch einen Versuch ‹ -Mentalität in den Hintergrund. Zwanzig Stunden am Stück durchzuspielen war für einen Virt kein Problem, die extremistischer veranlagten Otakus brachten es sogar auf tagelange Sessions. Einige von ihnen zogen sich sogar speziell designte Windeln an, um wegen überhaupt nichts mehr unterbrechen zu müssen.
Von einem firmeneigenen Stimmerkennungs-Handheld schic k te Esch Darina eine Mail, daß er über Nacht in Potsdam bleiben würde und voraussichtlich auch noch den morgigen Tag hier zu tun hätte. Und daß sie sich keine Sorgen zu machen brauche, alles liefe gut.
Er verdrückte eine Pizza Calzone aus der Mikrowelle und schüttete zwei Dosen isotonischer Getränke in sich rein. Zwei der Assistenten, junge Burschen mit zu Mustern rasierten Haaren, setzten sich zu ihm und fragten ihn nach seinen Ei n drücken von Reference. Es war ihnen deutlich anzusehen, daß sie das Ding am liebsten selbst getestet hätten. Esch blieb ausweichend. Daß die Grafik toll war, konnten sie ja selbst über die Außenmonitore mitverfolgen. Die Steuerung war präzise und intuitiv. Die Elf und die Fünfzehn waren zu voll, und die entsprechende Schleife mußte reprogrammiert werden. Ansonsten war es okay, wobei er natürlich nicht wirklich urteilen konnte, weil Tader ihm mehr oder weniger sämtliche Action aus dem Weg geräumt hatte.
Als die beiden ihn endlich in Ruhe ließen, konnte er für ein paar Minuten seinen eigenen Gedanken nachhängen. Die enervierende Neunzehn noch, dann die wahrscheinlich völlig ereignislose Zwanzig – und danach würde es losgehen. Der eigentliche Grund, weshalb er all dies hier mitmachte. Was er nicht einmal Darina hatte anvertrauen können. Wenn es wir k lich
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