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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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erfahren möchtest, obwohl mir persönlich die nackten Tatsachen lieber sind als eine hübsche Erfindung. Aber du mußt mir sagen, was du bereits weißt, damit ich das Fehlende ergänzen kann.»
    «Ich fürchte, ich weiß sehr wenig», sagte ich. «Alles, was ich über diese Seite der Familie erfahren habe, ist, daß du und Pandora Cousin und Cousine wart, daß sie in Wien Musik studiert hat und im Hause Behn als Gesellschafterin oder Lehrerin arbeitete und daß du meinen Onkel Lafcadio Geigenunterricht gegeben hast. Er sagt, du seist jung gewesen, aber schon ein Meister.»
    «Ein großes Kompliment. Aber hier kommt unser Essen», sagte er.
    Der Ober stellte mehrere zugedeckte Schüsseln vor uns hin. Als er den Deckel von meinem Tafelspitz nahm, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Aber was Dacian auf seinem Teller hatte, kannte ich nicht. Ich fragte ihn, was es sei.
    «Das ist Cevapcici, eine Art kebab aus gehacktem Rind, Lamm, Knoblauch, Zwiebeln und Paprika. Es wird über Holzkohle aus Rebstöcken gegrillt. In Dalmatien behauptet man, die Serben hätten dieses Gericht erfunden, aber es ist viel älter. Es wurde nämlich von den Dakiern, meinen Namensvettern, erfunden, einem alten Volksstamm, der einst in dem Teil von Makedonien lebte, der heute zu Jugoslawien gehört. Sie waren sogar am Kaspischen Meer bekannt, wo sie sich Daoi – die Wölfe – nannten. Wir Wölfe – daran erkennt man uns – essen gern Fleisch.» Und dabei spießte er mit der Gabel eines der Fleischröllchen auf und schob es zwischen seine wundervoll weißen Zähne.
    Als mir der erste Bissen meines Essens auf der Zunge zerging, merkte ich, wie hungrig ich war. Dacian reichte mir die verschiedenen Beilagen, und ich hätte am liebsten nur gegessen und gegessen. Aber ich nahm mich zusammen und griff unser Gespräch wieder auf.
    «Dann stammen die Dakier aus Jugoslawien beziehungsweise aus der Türkei, nicht aus Österreich», sagte ich fragend.
    «Nun, ich wurde nach ihnen benannt, aber meine Leute stammen in Wirklichkeit von den Roma ab. Und wer kann schon sagen, woher die Roma ursprünglich kommen?» sagte er achselzuckend.
    «Wer sind die Roma? Kommen sie aus Rom? Oder hast du Rumänien gemeint?»
    «Wir haben keinen einheitlichen Namen für unser in alle Winde verstreutes Volk», sagte er. «Unsere Sprache, das Romani, hat ihre Wurzeln im Sanskrit. Wir nennen uns manchmal Roma, aber wir haben im Lauf der Jahrhunderte viele andere Namen bekommen – Boheme, Cingari, Tsiganes, Gitanos, Flamencos, Tartares, Zigeuner…»
    «Dann seid ihr, du und Pandora, Zigeuner?» sagte ich reichlich verwirrt. Noch vor einer Stunde hatte ich eine irische Mutter und einen Vater mit einer, wie ich dachte, österreichisch-niederländischen Herkunft. Nun stammte ich plötzlich von einem illegitimen Abkömmling zweier Zigeuner ab, die Geschwisterkinder waren und ihr Kind, meinen Vater, gleich nach der Geburt verlassen hatten. Aber so verwirrt ich wegen meiner eigenen Herkunft war, so wenig zweifelte ich an der von Dacian Bassarides. Er sah genau so wild und romantisch aus, wie man ihn mir beschrieben hatte.
    «Die Einzelheiten unserer Familiengeschichte sind nichts für die Oberen der Gadje – der anderen, der Außenstehenden», sagte Dacian. «Deshalb habe ich unseren Freund Hauser fortgeschickt. Aber nun zu deiner Frage: Ja, wir waren Roma. Pandora lebte zeitweise bei den Gadje, aber in ihrem Herzen und ihrem Westen nach war sie immer eine von uns. Ich kannte sie seit unserer Kindheit. Sie hat so wundervoll gesungen, und schon damals war zu erkennen, daß sie eines Tages eine große ‹Diva› werden könnte. Vielleicht weißt du, daß dieses Wort in Sanskrit einen Engel beschreibt, während er auf persisch ‹Teufel› bedeutet. Pandora war ein wenig von beiden.»
    Er und Pandora waren also Zigeuner, aber nach allem, was ich gehört hatte, standen Zigeuner für die Nazis auf einer noch tieferen Entwicklungsstufe als Katholiken, Kommunisten, Homosexuelle und Juden.
    «Wenn ihr Zigeuner seid», sagte ich, «wie konnte Pandora dann so leben, wie sie gelebt hat – sowohl vor wie während des Krieges?»
    Dacian sah mich mit einem merkwürdigen Lächeln an. «Und wie hat sie gelebt?» fragte er. «Ich dachte, du wüßtest
    fast nichts über sie.»
    «Das stimmt auch», sagte ich, «aber ich meinte: Wie gelang es Pandora und Laf, den ganzen Krieg über in dieser Luxuswohnung in Wien zu bleiben? Ich war selbst dort und weiß, wovon ich rede. Wie konnten sie weiterhin

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