Neville, Katherine - Der magische Zirkel
seiner Person und der Rolle, die er in meiner Familie spielte. Auch wenn es grausam für ihn war – ich mußte ihn danach fragen.
«Wenn du und meine Großmutter, wenn ihr gemeinsam aufgewachsen seid und euch geliebt habt und wenn sie von dir ein Kind bekommen hat, warum hat sie dann Hieronymus Behn geheiratet? Ich dachte, sie hat ihn verachtet. Und warum ist sie mit Lafcadio weggelaufen, nachdem das Kind geboren war? Warum hat sie ihr Kind nicht mitgenommen?»
«Wie ich schon sagte – es ist schwer, Fragen zu beantworten, wenn sie nicht richtig gestellt werden», sagte er mit einem traurigen Lächeln. «Du darfst nicht glauben, was du hörst – und was du von mir hörst, schon gar nicht, schließlich bin ich ein Roma. Aber ich versuche eine Erklärung, denn ich glaube, du hast ein Recht darauf. Du mußt sogar alles wissen, wenn du diese Papiere beschützen willst, die du dort in deiner Tasche unter dem Tisch hast.»
Ich verschluckte mich, würgte und griff nach dem Wasserglas, während ich mich fragte, ob er Röntgenaugen hatte oder vielleicht Gedanken lesen konnte.
«Wolfgang Hauser hat es mir gesagt, als wir in der Küche waren», sagte er. «Als deine Tasche beim Zoll und von den Sicherheitsbeamten der IAEA durchsucht wurde, fand er es merkwürdig, daß du so viel Papier nur für deine Arbeit herumträgst. Er hat eine plausible Schlußfolgerung gezogen. Aber darauf kommen wir noch. Pandora war in der Tat meine Geliebte und die Mutter meines Sohnes und einzigen Kindes, aber sie war nicht meine Cousine. Sie war meine Ehefrau. Diese Bilder in dem Medaillon wurden an unserem Hochzeitstag aufgenommen.»
«Du warst mit Pandora verheiratet?» sagte ich verblüfft. «Wann?»
«Wie du siehst, könnte sie auf diesem Foto achtzehn oder zwanzig Jahre alt g ewesen sein», sagte er. «Aber in Wirklichkeit war sie dreizehn, und ich war sechzehn an dem Tag, als wir heirateten. Weißt du, damals war das anders als heute. Mädchen in zartem Alter waren schon Frauen, und bei den Roma war es Brauch, früh zu heiraten. Pandora war mit dreizehn Jahren eine Frau, das versichere ich dir. Als ich zwanzig war und sie siebzehn, ging sie fort, und unser Sohn Augustus wurde im Haus von Hieronymus Behn geboren.»
In meinem Kopf drängten sich tausend Fragen. Dann kam das Schokoladendessert mit einer Schale Schlagobers und einer Flasche Grappa. Dacian füllte unsere Gläser.
«Trink den Grappa», sagte er. «Du wirst ihn vielleicht brauchen, denn ich habe noch nicht zu Ende erzählt.»
«Du bist noch nicht fertig?» stieß ich flüsternd hervor, obwohl wir die einzigen Gäste in diesem Teil des Restaurants waren und sich die Kellner, die Servietten über dem Arm, in diskretem Abstand auf der anderen Seite des Raums aufhielten.
Nach all dem Durcheinander aus Fakten und Meinungen wußte ich plötzlich, was ich glaubte: Von allem, was ich bis jetzt vielleicht nicht hatte hören wollen, war dies das Schlimmste. Ich betete, daß mich die Wirklichkeit eines Besseren belehren würde, aber so recht daran glauben konnte ich nicht. Ich schloß für einen Moment die Augen. Als ich sie wieder öffnete, saß Dacian Bassarides neben mir, so daß ich die Box, in der wir saßen, nicht verlassen konnte. Er legte mir die Hand auf die Schulter, und wieder spürte ich die Energie, die von ihm ausging. «Ich habe es mein Leben lang vermieden, mich mit der Geschichte meiner Familie zu beschäftigen», erklärte ich ihm. «Ich bin gut dabei gefahren. Also warum soll ich jetzt damit anfangen?»
«Unkenntnis ist nicht unbedingt ein Erfolg», sagte Dacian. Dagegen war kaum etwas einzuwenden. Also breitete ich die
Hände aus, um zu zeigen, daß ich ihm weiter zuhören würde. «Kurz bevor wir heirateten», begann Dacian, «erfuhren
Pandora und ich, daß etwas, das ihrer Familie gehörte, etwas von großem Wert und ungeheurer Bedeutung, auf betrügerische Weise in den Besitz eines Mannes namens Hieronymus Behn gelangt war. Pandora war besessen davon, es wiederzubekommen, und ich half ihr dabei. Wir kannten die möglichen Folgen, wenn es uns nicht gelingen würde. Es dauerte einige Zeit, bis wir Hieronymus Behn gefunden hatten. Dann mußten wir Zutritt zu seinem Haus bekommen und das Vertrauen der Familie gewinnen. Ich freundete mich mit Lafcadio an, der damals in Salzburg zur Schule ging, und Pandora lernte Hermione und die Kinder kennen und zog schließlich in das Haus der Behns in Wien. Aber gerade, als es so aussah, als würden unsere Bemühungen
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