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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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neue Lehre für die neue Ära sein wird. Wir müssen an die Zukunft denken.

    N ICHOLAS R OERICH , Shambhala

    Eines Tages wird die Welt verglühen,
    sagen die einen,
    und die anderen sagen, sie wird zu Eis.
    Ich würde den Flammentod vorziehen,
    nach dem, was ich von der Sehnsucht weiß. Doch wenn ich zweimal sterben müßte,
    hätte ich Haß genug erlebt,
    um mir zu sagen, daß eine Wüste
    auch unter Eis entsteht.

    R OBERT F ROST , Fire und Ice
    Es war noch nicht Mitternacht, als wir in Paris ankamen, aber der Flughafen Charles de Gaulle wirkte ziemlich verlassen. Die Wechselstuben hatten geschlossen, und die Laufbänder in den Glasröhren standen still. Glücklicherweise waren wir erst für morgen vormittag mit Zoe verabredet.
    Mitternacht in Paris bedeutete sechs Uhr abends in Jerseys elegantem Penthouse in New York. Wenn ich sie sofort anrief, erwischte ich sie vielleicht früh genug zur Cocktailstunde, um noch vernünftig mit ihr sprechen zu können. Außerdem hielt ich es für besser, vom Flughafen aus anzurufen statt später aus einem Hotel, das Wolfgang für uns besorgt hatte. Eine Woche zuvor hätte ich in Verbindung mit einem Hotel als erstes an eine weitere lange Liebesnacht vor einem Kaminfeuer gedacht – aber jetzt versuchte ich das alles aus meiner Erinnerung zu verdrängen.
    Ich fand heraus, wie ich meine Telefonkarte in einer französischen Telefonzelle benutzen konnte. Wolfgang wartete auf unser Gepäck am internationalen Karussell, wo ich ihn durch die Glaswand sehen konnte. Nach zwei- oder dreimaligem Klingeln meldete sich Jersey. Ihre Stimme war klar und deutlich zu hören, als stünde sie einen Meter von mir entfernt, und sie klang erstaunlich nüchtern.
    «Bonsoir aus Paris, Mutter», sagte ich höflich, aber nicht zu herzlich. «Laf bestand darauf, daß ich dich anrufe. Wir sind gerade aus Wien angekommen. Ich stehe hier mitten in Charles de Gaulle in einer Telefonzelle. Es ist nach Mitternacht, und ich bin nicht allein. Aber du hast wahrscheinlich schon erraten, warum ich hier bin – wegen einer kleinen Familiengeschichte, die du in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren zu erwähnen vergessen hast. Du könntest uns Zeit und Ärger ersparen und mir sagen, was ich deiner Meinung nach wissen müßte.»
    Jersey schwieg so lange, daß ich schon dachte, sie wäre neben dem Telefon umgekippt.
    «Mutter?» sagte ich schließlich.
    «O Ariel, Schätzchen, es tut mir so leid», antwortete sie in einem Ton, der echt zerknirscht klang – obwohl ich natürlich keinen Augenblick vergessen hatte, daß Divas auch Schauspielerinnen sind. «Weißt du, Süße, ich habe einfach gehofft, wenn ich dich von allen diesen Dingen fernhielte, würdest wenigstens du eine Chance haben, ein normales Leben zu führen.» Sie lachte und fügte ein wenig sarkastisch, wie mir schien, hinzu: «Was immer das sein mag.»
    «Mutter, ich bitte dich nicht, mir die Motive zu erklären für das, was du in diesen Jahren getan oder nicht getan hast. Das kann sicher bis später warten.» Bis sehr viel später, dachte ich. Und wenn ich Glück hatte, blieb ich von dieser Beichte sogar verschont. «Was ich heute abend hören möchte, sind knallharte Fakten. Nur eine kleine Zusammenfassung», schlug ich vor, «ein paar Hinweise, was in deiner oder auch in unserer Familie los sein könnte. Wenn das nicht zuviel verlangt ist.»
    «Ich weiß nicht, warum ich gehofft habe, dieser Tag würde nie kommen», sagte Jersey beinahe nervös. «Aber ich hätte bestimmt nicht gedacht, ic h würde von meiner eigenen Tochter aus einem Hinterhalt überfallen werden, bevor ich eine Chance hatte, mir ein paar Drinks zu genehmigen! Erwartest du, daß ich mich für mein ganzes Leben in drei Minuten entschuldige?»
    «Okay, laß dir Zeit», sagte ich. «Laf wollte, daß ich zuerst mit dir spreche – und das heißt, wir haben die ganze Nacht Zeit, weil ich die liebe Granny erst morgen vormittag treffen werde.»
    «Also gut. Dann sag mir, an welche knallharten Fakten du gedacht hast», antwortete sie kühl.
    «Zum Beispiel, warum deine Mutter nach Frankreich abgehauen ist und dich mitten im Krieg allein gelassen hat, und warum du dann nicht nur mit einem, sondern mit jedem ihrer drei Brüder verheiratet beziehungsweise liiert warst – »
    «Dafür brauche ich erst was zu trinken», unterbrach mich Jersey und ließ dreitausend Meilen von mir entfernt den Hörer baumeln.
    Als sie kurz darauf wiederkam, hörte ich die Eiswürfel in ihrem Glas klirren.

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