Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Schwester – von einem anderen Mann. Nachdem unsere Väter bedingt durch den Krieg Gegner waren, wuchsen Halle und ich getrennt auf. Jeder hatte sein eigenes Leben. Aber als du vorhin gesagt hast, daß du aus Wien kommst, dachte ich, dein Onkel Lafcadio hätte dich ihr vorgestellt – »
«Wem? Was meinst du?» sagte ich mit einem seltsam beklommenen Gefühl in der Brust. Die Väter der beiden Mädchen befanden sich während des Krieges auf gegnerischen Seiten. Aber wenn Jerseys Schwester jetzt tot war, wer konnte die Frau sein, die Laf mir in Wien vielleicht vorgestellt hätte? Dann versetzte mir Jersey den rechten Haken, auf den ich gewartet hatte.
«Ich kann deinem Vater Augustus und auch meiner Schwester niemals verzeihen, daß sie mich betrogen haben», sagte sie. «Aber das Kind, das sie hatten – deine Schwester –, ist ein wirklich schönes und dazu ungewöhnlich talentiertes Mädchen. In den letzten zehn Jahren war Lafcadio ihr Beschützer und Förderer. Deshalb dachte ich, du hättest sie kennengelernt. Sie reisen auch zusammen.»
Ich preßte den Hörer an die Brust und schnappte nach Luft. Ich konnte es einfach nicht glauben. Dann hob ich den Hörer wieder ans Ohr, gerade in dem Augenblick, als Jersey sagte:
«Ariel, der Name deiner Schwester ist Bettina von Hauser.»
«Ich hoffe, ihr werdet wie Schwestern zueinander sein», hatte Laf gesagt, als Bettina Brunhilde «Bambi» von Hauser und ich uns zum ersten Mal begegneten. Als Bambi dann am selben Abend in mein Hotelzimmer im Lodge kam, sprach sie von der «gefährlichen» Beziehung ihres Bruders Wolfgang und mir – obwohl sie, wie ich mich erinnerte, damals sagte, diese Beziehung könnte für uns alle gefährlich sein. Großer Gott, bedeutete das, daß Wolfgang mein Bruder war?
Glücklicherweise war es nicht so. Wolfgangs Mutter Halle war mit einem Österreicher verheiratet, der einige Zeit nach Wolfgangs Geburt starb – glücklicherweise bevor sie meinen Vater Augustus kennenlernte. Aber das machte die komplizierten Familienverhältnisse nicht einfacher.
Als ich rund zwanzig Minuten später das Gespräch mit meiner Mutter beendete, wußte ich wirklich einiges mehr. Nach Jerseys Darstellung war ihre Mutter Zoe Behn, das jüngste Kind von Hieronymus und Hermione, mit Pandora davongelaufen. Als sie fünfzehn war, hatte sie sich zu einer ausgezeichneten Tänzerin entwickelt. Ähnlich wie die eine Generation ältere Isadora Duncan, die Zoes Freundin, Lehrerin und Schirmherrin wurde, schuf Zoe bald ihren eigenen einzigartigen Tanzstil. Nach dem tragischen Tod von Isadora im Jahr 1927 war Zoe erst zwanzig, aber schon ein Star bei den Folies-Bergère, der Opéra Comique und zahlreichen anderen Bühnen. In diesem Jahr lernte sie Hillmann von Hauser kennen.
Hillmann von Hauser war Ende Dreißig, reich, mächtig, Ritter des Deutschen Ordens, Mitglied mehrerer nationalsozialistischer Untergrundgruppen wie die Thulegesellschaft und die Armanenschaft und auch schon damals ein zahlungskräftiger Förderer von Adolf Hitler und der NSDAP. Er war blond wie Zoe, ein gutaussehender stämmiger Mann, und er hatte zehn Jahre zuvor in eine österreichische Aristokratenfamilie eingeheiratet, die ebenso alt und angesehen war wie seine Familie in Deutschland. Aber diese Ehe war kinderlos geblieben.
Die junge Zoe war eine begeisterte Selbstdarstellerin und kein Kind von Traurigkeit. Seit fünf Jahren hatte sie Nacht für Nacht nackt auf der Bühne getanzt – nachzulesen in ihren selbstverfaßten Memoiren –, und es hatte ihr anscheinend großen Spaß gemacht, zu beweisen, daß der Grund für die kinderlose Ehe des Ritters von Hauser nicht bei dem Ritter zu suchen war. Die ältere Schwester meiner Mutter, Halle von Hauser, wurde 1927 geboren.
In dem Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg waren Hillmann von Hauser und manche andere seiner Gesellschaftsschicht von den Entbehrungen, unter denen die Deutschen zu leiden hatten, weitgehend verschont geblieben. Ähnlich wie einige Großindustrielle und Waffenfabrikanten wie die Krupps und Thyssens überstand auch der Ritter von Hauser die Zeit zwischen den zwei Weltkriegen sehr gut. Zoes Tochter Halle wurde nach Deutschland gebracht, von ihrem Vater und dessen Ehefrau adoptiert und später auf erstklassige Schulen in Frankreich geschickt. So wie Jersey die Geschichte verstanden hatte, floh ihre Mutter Zoe bald auf die Insel Jersey, wo sie einen jungen und erfolgreichen irischen Wollproduzenten mit eigener Schafzucht
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