Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Vielleicht lag es am Alkohol, daß ihre Stimme einen Ton angenommen hatte, als wäre sie eben in eine Ritterrüstung gestiegen.
«Wieviel genau hat man dir gesagt?» fragte sie mich. «Viel zuviel, Mutter, und gar nicht zu meinem eigenen
Besten. Du brauchst also kein Blatt vor den Mund zu nehmen.» «Dann weißt du das von Augustus.»
«Augustus?» sagte ich.
Anscheinend spielte sie darauf an, daß Dacian Bassarides der Mann war, der meinen Vater gezeugt hatte. Aber sollte nicht ich hier die Fragen stellen? Andererseits war ich mir keineswegs sicher, ob ich alles, was ich wußte, einer Frau offenbaren sollte – Mutter oder nicht –, die mich über ihre eigene Herkunft so lange im dunkeln gelassen hatte. Nach Jerseys nächster Bemerkung war ich froh, daß ich wenigstens einmal klug genug war, den Mund zu halten.
«Ich meine», sagte Jersey, trotz des Drinks noch tadellos artikulierend, «hat dir Lafcadio erklärt, warum ich deinen Vater verlassen habe?»
Ich hatte keine Ahnung, wohin dies führen würde, aber eines wußte ich genau: Was immer jetzt kam, war zu wichtig für mich, um zu kneifen.
«Warum sagst du es nicht mit eigenen Worten?» schlug ich vor. Es war das einzige, was mir als Kompromiß zwischen ja oder nein einfiel.
«Du weißt es also nicht», sagte Jersey. «Und offen gesagt, wenn es mir überlassen bleiben soll, weiß ich nicht so recht, was ich tun soll. Ich weiß, es wäre viel besser, dir von all dem gar nichts zu sagen. Doch wenn ich mir überlege, daß du gerade in Wien warst und jetzt in Paris bist… Wenn ich es weiterhin geheimhalte, könntest du vielleicht in ernste Gefahr – »
«Ich bin bereits in ernster Gefahr, Mutter!» stieß ich zwischen den Zähnen hervor. Herrje, ich hätte sie am liebsten geschüttelt!
Wolfgang sah durch die Glaswand zu mir herüber und hob fragend eine Braue. Ich zuckte die Achseln und versuchte zu lächeln.
«Ich weiß natürlich, daß du das Recht hast, es zu wissen», sagte Jersey. Aber dann schwieg sie wieder, als versuchte sie, ihre Gedanken zu ordnen. Ich hörte das Klimpern der Eiswürfel im Hintergrund – Tausende von Meilen entfernt – und dachte, daß ich nach allem eigentlich gegen jeden Schlag gewappnet war. Aber als meine Mutter schließlich redete, wünschte ich mir, sie hätte es nicht getan.
«Ariel, Kind, ich habe eine Schwester», sagte sie, und als ich nichts darauf sagte, fuhr sie fort: «Ich sollte sagen, ich hatte eine Schwester. Wir standen uns nicht sehr nah. Ich hatte sie jahrelang nicht gesehen, und jetzt ist sie tot. Alles wegen einer unverzeihlichen Untreue seitens deines Vaters.» Die nächsten Worte fielen ihr spürbar schwer. «Nun, Darling, du hast auch eine Schwester – ungefähr in deinem Alter.»
Ich konnte wirklich nicht glauben, was hier geschah. Warum hatte mir niemand etwas gesagt? Alle diese Lügen und Täuschungen über Generationen hinweg, die die Sängerkehle unserer Diva, meiner Mutter, jetzt ausspuckte, widerten mich an – obwohl es sicher nicht allein ihre Schuld war. Auch Augustus hatte ziemlich gut vertuscht.
Es wäre vermutlich besser gewesen, wenn ich eingehängt hätte, als wären wir getrennt worden. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, daß das erst der linke Haken war, den sie mir verpaßt hatte, und daß der rechte auf das Kinn noch folgen würde. Also hielt ich den Atem an und wartete. Ich wußte, die fragliche Mutter – die Frau, mit der Augustus meine Mutter betrogen hatte – konnte nicht Grace, seine jetzige Frau, gewesen sein. Sie wäre vor zwanzig Jahren oder so, als Jersey meinen Vater verlassen hatte, noch zu jung gewesen.
«Ariel, ich weiß, dem Vater und ich hätten es dir längst sagen sollen», sagte Jersey und legte erneut eine Pause ein, als könnte sie erst nach einem kräftigen Schluck weitersprechen.
Ich sah Wolfgang am Gepäckkarussell auf und ab gehen und dachte, wie gut, daß man hier so lange auf sein Gepäck warten muß.
«Du wolltest wissen, warum mich meine Mutter verlassen hat», sagte Jersey. «Aber so kann man das eigentlich nicht sagen. Zoe ging nach Frankreich, um meine Schwester Halle abzuholen, die von ihrem Vater nach Paris gebracht worden war. Es war Krieg, weißt du – »
«Ihr Vater hat sie gebracht?» unterbrach ich Jersey. «Du meinst, der Vater deiner Schwester war nicht auch dein Vater, der irische Pilot?» Aber warum sollte mich das bei Zoes Ruf überraschen?
«Meine Mutter war verheiratet, oder besser gesagt, sie hatte ein Kind – meine
Weitere Kostenlose Bücher