Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Richtung geblickt, obwohl ich nicht übermäßig laut gesprochen hatte. Dann lächelte Wolfgang unverhofft.
«Im Gegensatz zu dir», sagte er mit hochgezogenen Brauen und ohne auf den Rest meiner Tirade einzugehen, «habe ich dir für etwas mehr zu danken. Das erste ist, daß ich mich bis jetzt noch nie in jemanden verliebt hatte; und das zweite, daß dieser Jemand – was ich wirklich nicht gedacht hätte – eine solche Xanthippe sein kann. Ich muß dir also dankbar sein, nicht wahr?»
Er legte seine Serviette auf den Tisch und bedeutete dem Kellner, die Rechnung zu bringen. Aber ich war verdammt wütend und nicht bereit, mich noch einmal abwimmeln zu lassen, nicht einmal durch seine verletzende und vielleicht sogar zutreffende Kritik an meiner Person. Ich schickte den Kellner wieder weg und hob ostentativ mein Glas.
«Ich bin noch nicht fertig», erklärte ich Wolfgang. «O doch, das bist du», versicherte er mir in ähnlich
entschlossenem Ton. «Ariel, kannst du dir nicht vorstellen, daß ich vielleicht nur deshalb n icht eher von unserer Verwandtschaft gesprochen habe, weil mich jeder gewarnt hat bezüglich deiner Einstellung gegenüber der Behn-Familie? Seit deiner Kindheit hast du dich gegen alle abgeschottet, ausgenommen war nur dein Cousin Sam. Wie, glaubst du, hättest du reagiert, wenn ich unmittelbar nach dem Tod dieses Cousins gekommen wäre und gesagt hätte: ‹Hallo, da bin ich, dein Cousin Wolfgang, von dem du nie etwas gehört hast. Ich bin hier, um dich in den Schoß der Familie zurückzuholen?› Und was das Runenmanuskript angeht, so hat Zoe gewußt, daß es dir deine Mutter zuschicken würde, weil es die beiden besprochen haben. Wenn du mir nicht glaubst, kannst du sie gern morgen selbst fragen. Es tut mir leid, daß ich gesagt habe, ich hätte es dir geschickt, aber es war der einzige Weg, der mir eingefallen ist, um schnell dein Vertrauen zu gewinnen – »
«Warum fällt dir dazu nie etwas anderes ein, als mir Lügen aufzutischen», unterbrach ich sein läppisches Geständnis.
Aber in einer Ecke meines Verstandes mußte ich zugeben, daß vieles, was er sagte, stimmte. So hübsch und begehrenswert mir Wolfgang vom ersten Moment an erschienen war, hatte ich doch viel Zeit und Mühe verwendet, um ihm aus dem Weg zu gehen – und dies aus einem Grund, den ich ihm weder damals noch jetzt nennen konnte: Weil Sam noch lebte und ihm von allen Seiten, außer von meiner, Gefahr drohte, und weil ich es mir nicht leisten konnte, irgend jemand zu trauen.
Aber mir entging auch nicht, daß ein Rädchen immer noch nicht in Wolfgangs Geschichte hineinpaßte.
«Selbst wenn alles, was du gesagt hast, stimmt», sagte ich, «erklärt das nicht die Geschichte mit dem Pod.»
«Wer ist der Pod?» fragte Wolfgang irritiert. «Mein Chef – Pastor Owen Dart», erklärte ich ihm. «Warum
wollte er mich unbedingt aus der Stadt haben und nach Rußland schicken, und warum ist er uns nach Wien nachgeflogen? Was hatte er in jener Nacht in dem Weinberg unterhalb von deinem Haus zu suchen? Worüber habt ihr gesprochen, was ich nicht hören sollte?»
Vielleicht bildete ich mir nur ein, daß Wolfgang etwas blaß wurde. Er setzte zu einer Antwort an, schien es sich dann aber anders zu überlegen. Ich hoffte, er würde nicht noch einmal versuchen, den Mann im Weinberg als Pater Virgilio auszugeben – aber dieser Gedanke warf sofort eine weitere Frage auf.
«Und wer ist Virgilio Santorini?» fragte ich. «Mein Onkel Laf scheint über ihn Bescheid zu wissen und hält ihn für einen sehr gefährlichen Mann. Warum mußten wir uns mit ihm in der Bibliothek von Melk treffen?»
«Ich hätte für eine solche Unterhaltung bestimmt einen anderen Ort und einen anderen Zeitpunkt gewählt. Aber wenigstens kann man uns hier schlecht belauschen», sagte Wolfgang mit einem Seufzer. «Und nachdem jetzt alles beinahe vorbei ist, kann ich dir sagen, was immer du wissen möchtest – wenigstens wirst du dann endlich das Gefühl haben, daß du mir trauen kannst. Das Leben ist sehr komplex, Ariel, und Menschen sind oft noch komplexer – »
«Wolfgang, um Himmels willen, es ist fast zwei Uhr morgens. Laß uns zur Sache kommen. Wer ist Virgilio, und warum ist uns Pastor Dart nach Wien gefolgt?»
«Also gut», sagte Wolfgang, und es klang wie «Du wolltest es ja nicht anders». Virgilio Santorini ist ein Experte für mittelalterliche Texte, der an der Sorbonne und an der Wiener Universität promoviert hat. Er ist Priester, aber kein
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