Neville, Katherine - Der magische Zirkel
des Testamentsvollstreckers gehört hatte.
Plötzlich spürte ich, daß die Reifen nicht mehr griffen. Wie von unsichtbarer Hand gezogen, rutschte der Wagen Richtung Straßenrand.
Ich schreckte auf, packte das Lenkrad und steuerte mit aller Kraft in die Gegenrichtung, um den Wagen vom Bankett wegzubringen. Aber nun schleuderte ich in die andere Richtung.
Verdammt! Ich durfte nicht von der Straße abkommen! Hier draußen gab es nichts als Schnee und noch mal Schnee. Es war so finster und schneite so dicht, daß ich nicht einmal sehen konnte, was rechts und links von der Straße war – vielleicht nur ein steiler Abgrund.
Trotz meiner Panik war ich imstand, meine Geistes- und Körperkräfte zu aktivieren, um den Wagen unter Kontrolle zu bringen. Ich schaukelte von einer Straßenseite zur anderen, um zu verhindern, daß der Wagen ausbrach, und versuchte, ein Gefühl für das Gleiten der Reifen auf dem Neuschnee zu bekommen, der glitschig und weich auf einer steinharten schwarzen Eisschicht lag.
Es schien ewig zu dauern, bis ich das Gefühl hatte, daß sich der Rhythmus der Stahlmassen auf ein Gleichgewicht einpendelte und ich diesen Ringkampf gewinnen würde. Ich zitterte wie Espenlaub, während ich das Tempo auf dreißig, fünfundzwanzig Meilen verlangsamte. Dann holte ich tief Luft und gab wieder Gas, denn ich wußte, daß man in einem solchen Schneetreiben nie ganz anhalten durfte, weil man sonst möglicherweise nicht mehr genug Schwung hatte, um wieder anzufahren.
Ich fuhr weiter in die schwarze und leere Nacht hinein, schickte ein Dankgebet zum Himmel, und dann schüttelte ich heftig den Kopf und schlug mir einige Male fest auf die Wangen, um wach zu werden. Ich kurbelte das Fenster herunter, so daß Wind und Schnee hereinwehten. Die Schneeflocken brannten wie Nadelstiche auf meiner Haut. Ich atmete tief die eisige Luft ein und hielt für eine Minute den Atem an. Dann fuhr ich mir mit dem Rücken des Handschuhs über die brennenden Augen, riß mir die Skimütze vom Kopf und schüttelte meine Haare in dem wild durch den Wagen wirbelnden Fahrtwind. Als ich das Fenster wieder schloß, war ich in die Wirklichkeit zurückgekehrt. Was war los mit mir?
Natürlich wußte ich, was mit mir los war. Sam war tot, und ich konnte mir ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Ich war wie betäubt vor Kummer. Obwohl ich in den vergangenen sieben Jahren von Sam nicht viel gesehen oder gehört hatte, war er immer dagewesen bei allem, was ich tat. In gewisser Weise war er die einzige wirkliche Familie, die ich je hatte.
In diesem Augenblick sah ich durch den Flockenwirbel ein Licht in der Ferne. Es war groß genug, um eine Stadt zu sein, und es gab nicht viele hier draußen in der hochgelegenen Wüste. Für mich sah es aus wie mein Zuhause.
Aber das Abenteuer war noch nicht ganz vorbei. Ich hielt an der Straße oberhalb des Hauses mit dem
reizenden Kartoffelkeller, den ich mein Zuhause nannte, und als ich hinunterblickte, war ich der Verzweiflung nah. Die Einfahrt war verschwunden unter einer Schneewehe, die bis an die Fenster des ersten Stocks hinaufreichte. Es sah so aus, als müßte ich mich nach der grausamen Autofahrt auch noch zum Haus durchgraben, ganz zu schweigen von der Schipperei, die nötig sein würde, um meine Souterrainwohnung freizulegen. Das hatte ich nun davon. Warum mußte ich auch in Idaho in einem Keller wohnen wie eine Kartoffel?
Ich stellte den Motor ab und blickte finster den Hang hinunter, wo normalerweise die Zufahrt war. Wie alle hier im gebirgigen Idaho hatte ich zu jeder Jahreszeit eine Notausrüstung im Wagen – Sand, Salz, Wasser, Thermoanzug, wasserdichtes Schuhzeug, Heizmaterial, Startkabel, Seile und Ketten – , aber ich hatte keine Schaufel. Und selbst mit einer Schaufel hätte ich allein nie genug Schnee wegschaffen können, um den Wagen die Einfahrt hinunterfahren zu können. Ich saß da, taub vor Erschöpfung, und schaute zu, wie sich der weiche rieselnde Schnee leise rings um mein Auto legte und ich langsam darunter begraben wurde. Sam würde jetzt etwas Lustiges sagen, dachte ich, oder vielleicht aus dem Auto springen und einen Schneetanz aufführen, um das Werk der
Götter zu ehren…
Ich schüttelte wieder den Kopf, um zu mir zu kommen. In meiner Wohnung klingelte das Telefon. Aber im ganzen Haus brannte kein Licht. Vermutlich war mein exzentrischer, wenn auch liebenswerter mormonischer Hausherr ins Gebirge gefahren, um morgen im frischen Pulverschnee Ski zu laufen – oder er
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