Neville, Katherine - Der magische Zirkel
Vater Earnest gestorben war. Er war sieben Jahre für uns nicht erreichbar, und jetzt war er tot. Und welches Ereignis fiel in diese Zeit? Seine Erbschaft, zu der vielleicht auch diese Manuskripte gehörten. Und was war Sams Beruf und Leidenschaft? Was hatte er seit seiner Kindheit getan und ständig verbessert? Was hat er mich gelehrt und mir damit zu einem lukrativen Job verholfen?
Sam war ein Codeknacker, einer der besten auf der Welt. Wenn er von diesen Manuskripten wußte, hatte er bestimmt nicht widerstehen können, sie sich genauer anzusehen, insbesondere, wenn sein Vater ihren Wert feststellen wollte. Er muß sie sich angesehen haben, vielleicht hatte er sie sogar entschlüsselt, lange bevor Earnest starb. Davon war ich fest überzeugt. Und wo waren sie jetzt?
Aber wesentlich wichtiger war für mich die Frage: Was war an den Tagebüchern meiner Großmutter, die nun ich theoretisch geerbt hatte, so gefährlich, daß Sam sterben mußte?
Die meisten sagen nun, da die Enden der den [Gordischen] Knoten bildenden Fäden nicht sichtbar, sondern mehrfach in vielfältigen Windungen ineinander verschlungen waren, so habe Alexander, außerstande, die Verknotung zu lösen, sie mit seinem Schwert durchhauen…
P LUTARCH
Das Geheimnis des Gordischen Knotens scheint religiöser Art gewesen zu sein – wahrscheinlich der Name von Dionysos, der nicht ausgesprochen werden durfte, eine in den Peitschenriemen geknotete Chiffre…
Als Alexander in Gordion, wo er sein Heer für die Invasion ins Innere Asiens zusammenstellte, den Knoten brutal durchschnitt, zerschlug er gleichzeitig eine alte Ordnung, indem er die Macht des Schwertes über die religiöser Mythen setzte.
R OBERT R ANKE -G RAVES , Die griechischen Mythen Es war fast drei Uhr morgens, als ich die Hähne der großen klauenfüßigen Badewanne aufdrehte und betete, die Wasserrohre möchten nicht eingefroren sein. Erleichtert sah ich das heiße Wasser in die Wanne laufen. Ich goß etwas Badesalz und flüssige Seife in die Wanne und stieg hinein. Die Wanne war so tief, daß mir das Wasser bis zur Nase reichte. Ich schäumte mir die Haare ein und dachte, daß ich über eine Menge nachzudenken hatte. Aber mein Gehirn war so zerzaust wie meine Haare, was nach den Ereignissen dieser Woche und der beschwerlichen Heimreise kein Wunder war.
Als ich in der Wanne lag und die Wärme genoß, ging quietschend die Badezimmertür auf, und Jason spazierte herein – was vermutlich bedeutete, daß auch Olivier, mein Hausherr, heimgekommen war. Jason würdigte mich nur eines kurzen Blickes aus seinen durchdringenden grünen Augen. Er lief zu der Stelle, wo meine feuchte seidene Unterwäsche auf dein Boden lag, betrachtete sie verächtlich und begann, sie mit den Pfoten zu bearbeiten. Aber ich streckte einen Arm aus der Wanne und nahm sie ihm weg.
«O nein, mein Lieber!» sagte ich streng.
Jason sprang auf den hölzernen Wannenrand und schlug mit der Pfote nach dem Seifenschaum. Er sah mich fragend an. Jason war die einzige mir bekannte Katze, die Wasser liebte, und er konnte genausogut schwimmen wie ein Hund.
Aber heute nacht – oder vielmehr heute morgen – war ich für Spiele zu müde, und so schubste ich ihn vom Wannenrand auf den Fußboden, stieg aus dem Wasser und trocknete mich ab. In meinem flauschigen Bademantel, das Haar in ein Handtuch gewickelt, tappte ich in die Küche und setzte den Kessel auf, um mir vor dem Schlafengehen einen heißen gebutterten Grog zu machen. Ich nahm den Besen und klopfte mit dem Stil an die Decke, damit Olivier wußte, daß ich zurück war – obwohl er das anhand meines Wagens oben an der Straße vielleicht schon festgestellt hatte.
«Chérie», ertönte bald darauf Oliviers Stimme mit ihrem unüberhörbaren franko-kanadischen Akzent. «Ich bin auf Schneeschuhen vom Jeep ins Haus gegangen, aber ich war mir nicht sicher, ob ich den kleinen Argonauten zu dir hinunterlassen soll. Du hättest ja schon schlafen können. Wie stehts mit mir?»
«Okay, komm runter und trink einen Grog mit, bevor ich zusammenbreche», rief ich hinauf. «Und erzähl mir, was sich in der Firma getan hat.»
Ich hatte Olivier Maxfield vor rund fünf Jahren kennengelernt, als wir zusammen einem Projekt zugeteilt wurden. Er war eine merkwürdige Mischung aus Kerntechniker und Kochkünstler, schwärmte für Yankee-Slang und Cowboy-Bars, und er war Mormone – allerdings ein unbußfertiger, denn er war nicht bereit, seine Liebe zur französischen Küche der
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