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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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schließlich erreichte ich die angestrebte Stelle und kletterte bis zum höchsten Punkt, kroch bäuchlings bis zum Rand und blickte hinaus über das von Berggipfeln umstandene Tal.
    Und dort, auf einem Berg unter mir, auf der anderen Seite einer breiten Schlucht, war der magische Zirkel. Genau in der Mitte saß Sam. In meinem Traum saß er dort im Schneidersitz auf dem Boden, in seinen fransenverzierten Buckskins, das Haar fiel ihm lose über die Schultern – aber er saß mit dem Rücken zu mir. Er blickte zur untergehenden Sonne und konnte mein Zeichen nicht sehen.
    Ich rief seinen Namen, laut und immer wieder, in der Hoffnung, daß vielleicht ein Echo zu ihm drang. Und dann schrie ich. Aber er war zu weit entfernt…

    Olivier rüttelte mich an den Schultern. Durch die Fenster meines Verlieses fiel Licht, und das bedeutete, daß etwas von dem Schnee davor weggeschmolzen war. Wie spät war es? Warum schüttelte mich Olivier so wild?
    «Bist du in Ordnung?» fragte er, als ich die Augen öffnete. Er sah ganz erschrocken aus. «Du hast so laut geschrien, daß ich dich bei mir oben gehört habe. Jason ist vor Schreck unter meinen Kühlschrank gekrochen.»
    «Geschrien?» sagte ich. «Es war nur ein Traum. Ich habe das seit Jahren nicht mehr geträumt. Außerdem… so war es in Wirklichkeit nicht.»
    «Was war nicht so?» fragte Olivier.
    Aber dann dämmerte mir plötzlich, daß Sam wirklich tot war. Nur im Traum konnte ich ihn wiedersehen – und wenn der Traum eine falsche Erinnerung war, dann war das alles, was ich hatte. Es war eine Erkenntnis, die mich schlagartig traf und fast betäubte.
    «Der Pfannkuchenteig ist fertig», sagte Olivier. «Es gibt Buttermilchpfannkuchen, literweise Malzkaffee, ein paar von den schweinischen Würstchen, die genug Cholesterin enthalten, um deine Gefäße für die Nachwelt zu erhalten, und obendrein Eier auf zart – »
    «Wie spät ist es eigentlich?»
    «Zeit für einen Brunch. Das Frühstück hast du verschlafen», sagte Olivier. «Ich habe gewartet, um dich zur Arbeit mitzunehmen. Dein Wagen wurde leider vom Schneepflug begraben.»

    Nach dem Brunch beschloß ich, mir etwas Warmes anzuziehen und meinen Wagen auszubuddeln, bevor ich zur Arbeit ging. Nach zwei Tagen im Auto brauchte ich etwas Bewegung – und manchmal bekamen wir nach einem Tauwetter wie diesem starken Frost, so daß ich mein Auto aus dem Eis hacken mußte. Aber ich brauchte auch Zeit, um den mentalen Schritt von Sams Beerdigung in den Arbeitsalltag zu schaffen.
    Ich ging hinaus, wo ich zwischen glitzernden Schneewehen und mit Eiszapfen behangenen Häusern meinen kleinen Honda freilegte. Und ich dachte, daß die Stoffe, aus denen wir unsere Träume und Wirklichkeiten weben, sehr verschiedenartig sind.
    Tatsächlich hatte ich Sam in jenen Wäldern nicht gefunden – aber er fand mich. In der wirklichen Geschichte – nicht im Traum – bin ich über die Baumgrenze hinaufgestiegen, wo das Klima für die Bäume zu rauh ist, um zu überleben, und wo sich angeblich kein Tier schlafen legt. Es war Vollmond, und ich stand, gebadet in weißes Licht, auf einem Felsen. Die Sonne war längst untergegangen und der blauschwarze Himmel von Sternen übersät. Schwarzer, undurchdringlicher Wald umgab mich ringsum.
    Ich glaube, ich hatte noch nie so schrecklich Angst wie damals, als ich allein in diesem milchig weißen Licht stand und ins Universum hinaufschaute. Ich hatte so große Angst, daß ich meinen Hunger vergaß. Ich konnte nicht einmal weinen. Ich weiß nicht, wie lange ich dort stand, unfähig mich zu bewegen trotz der Gefahr, die mir hier oben drohte. Aber jeder Schritt hätte mich wieder näher an diesen schwarzen, unheimlichen Wald gebracht, dem ich gerade entflohen war.
    Dann kam er, mitten in der Nacht, durch den Wald, um mich zu suchen. Als ich sah, daß sich am Waldrand etwas bewegte, wich ich zuerst erschrocken zurück. Aber als ich Sams helle Buckskins erkannte, rannte ich über das offene Gelände und warf mich in seine Arme, und ich weinte vor Erleichterung.
    «Okay, Hotshot», sagte Sam, schob mich von sich weg und sah mich mit Augen an, die im Mondlicht silbergrau aussahen. «Du kannst mir später erzählen, was dich auf die verrückte Idee gebracht hat, mir nachzulaufen. Aber du kannst von Glück sagen, daß ich ein Stück zurückgegangen bin und deine Spuren gefunden habe. Hoffentlich ist dir klar, daß du meine wichtige Begegnung mit den Totemgeistern vermasselt hast. Und dann bist du hier oben, obwohl

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