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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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Trifft es das?» fragte Olivier hoffnungsvoll.
    «Ein bißchen von beidem», sagte ich. «Ich stand ihm wahrscheinlich näher als jeder andere in meiner Familie.» Was nicht viel besagte, aber das wußte Olivier nicht.
    «Oh, wie schrecklich für dich! Aber warum habe ich nie von ihm gehört – bis auf die Erwähnung seines Namens? In all den Jahren, seit wir zusammenarbeiten und uns diese bescheidene Behausung teilen, hat er dich nie besucht und nie angerufen.»
    «Unsere Familie kommuniziert übersinnlich», sagte ich. Ich nahm Jason auf den Arm, weil er mir dauernd um die Beine strich.
    «Ah, da fällt mir ein…» unterbrach mich Olivier. «Dein Vater ruft seit Tagen hier an. Er hat nur gesagt, du müßtest ihn sofort zurückrufen.»
    In diesem Augenblick klingelte das Telefon, und Jason sprang erschreckt auf den Boden.
    «Sie müssen tatsächlich übersinnliche Fähigkeiten haben, um unsere Schwingungen um diese Uhrzeit zu empfangen», sagte Olivier mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Während ich nach dem Telefon griff, leerte er sein Glas und stand auf. «Morgen mache ich dir Pfannkuchen zum Frühstück. Willkommen daheim!» rief er über die Schulter und verschwand nach oben.
    «Gavroche, Darling», waren die ersten Worte, die ich hörte, als ich den Hörer abnahm.
    Großer Gott, waren meine Familienmitglieder plötzlich tatsächlich übersinnlich geworden? Es war mein Onkel Laf. Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört. Er nannte mich immer Gavroche – das ist französisch und heißt Göre.
    «Laf?» sagte ich. «Wo bist du? Du klingst, als wärst du eine Million Meilen weit weg.»
    «Im Augenblick bin ich in der Wien», was bedeutete, daß er sich in seiner großen, im Stil des 18. Jahrhunderts eingerichteten Wohnung gegenüber der Wiener Hofburg befand, wo Jersey und ich früher wohnten und wo es jetzt acht Stunden später war als hier – also elf Uhr vormittags. Anscheinend hatte Onkel Laf den Dreh mit den unterschiedlichen Zeitzonen immer noch nicht raus.
    «Ich war so traurig, Gavroche, als ich das von Sam erfahren habe», sagte er. «Ich wollte zur Beerdigung kommen, aber dein Vater…»
    «Das ist schon okay», versicherte ich ihm, weil ich die Sache nicht unnötig komplizieren wollte. «Im Geist warst du bei uns, genauso wie Onkel Earnest, auch wenn er schon tot ist. Ich habe einen Schamanen aufgetrieben für ein kleines Ritual. Danach hat das Militär Sam geehrt, und Jersey ist ins offene Grab gefallen.»
    «Deine Mutter ist ins Grab gefallen?» sagte Onkel Laf mit der Begeisterung eines Fünfjährigen. «Oh, das ist wundervoll! Was meinst du? Hat sie es geplant?»
    «Sie war betrunken wie gewöhnlich», erklärte ich ihm. «Aber es war trotzdem komisch. Ich wünschte, du hättest Augustus Gesicht gesehen.»
    «Jetzt tut es mir richtig leid, daß ich nicht dabei war», sagte Laf, und in seiner Stimme schwang so viel freudige Erregung, wie ich sie einem Mann, der auf die Neunzig zuging, nicht zugetraut hätte.
    Sie hatten nicht viel füreinander übrig, mein Vater und mein Onkel Lafcadio Behn – vielleicht weil Laf, der Stiefsohn meines Großvaters aus einer früheren Ehe, mit meiner Großmutter Pandora durchgebrannt war, kurz nachdem sie meinen Vater geboren hatte.
    Über diese Sache – wie über so manch andere – wurde in meiner Familie nicht gesprochen.
    «Onkel Laf», sagte ich, «ich möchte dich etwas fragen. Ich weiß, wir sprechen nie über die Familie, aber ich möchte, daß du weißt, daß Sam alles mir hinterlassen hat.»
    «Gavroche, genau das habe ich von ihm erwartet. Du bist ein gutes Mädchen, und du hast es verdient. Ich habe genug für ein bequemes Leben – mach dir wegen mir keine Sorgen.»
    «Ich mache mir keine Sorgen wegen dir, Laf. Ich will dich nur etwas fragen. Es hat mit der Familie zu tun, und vielleicht weißt du etwas darüber. Sam hat mir anscheinend noch etwas hinterlassen – es ist kein Haus oder Grundbesitz oder Geld…»
    Mein Onkel Laf war so still geworden, daß ich nicht sicher war, ob ich noch mit ihm verbunden war.
    «Gavroche», sagte er schließlich, «du weißt, daß internationale Telefongespräche aufgezeichnet werden.»
    «Tatsächlich?» sagte ich, obwohl ich es bei meinem Beruf sehr gut wissen mußte. «Aber das spielt doch bei unserem Gespräch keine Rolle.»
    «Gavroche, warum ich anrufe», sagte Onkel Laf, und seine Stimme klang völlig anders als zuvor. «Ich bedaure, daß ich nicht zu Sams Beerdigung kommen konnte. Aber

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