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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel Kostenlos Bücher Online Lesen
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ich dir gesagt habe, daß du nachts nie über die Baumgrenze hinausgehen darfst. Hat dir mein Großvater Dark Bear nicht erklärt, warum sogar Wolf und Silberlöwe die Nacht nicht hier oben verbringen?»
    Ich schüttelte den Kopf und kämpfte mit den Tränen, während er den Arm um mich legte und meinen Rucksack aufhob. Wir gingen zurück in den Wald. Sam nahm meine Hand, und ich versuchte tapfer zu sein.
    «Oberhalb der Baumgrenze wohnen die Totemgeister», sagte Sam, während wir uns durch das Unterholz zwängten. Ich hörte das leise schmatzende Geräusch, das seine Mokassins auf dem feuchten Boden machten. «Tiere spüren, daß die Geister da sind, selbst wenn sie sie weder sehen noch riechen können. Deshalb mußt du, wenn du ernsthaft vorhast, den Geistern zu begegnen, an einem Ort warten, wo nicht einmal Bäume leben können. Aber der Ort, zu dem ich gehe, wird von einem großen Zauber beschützt. Ich kann dich jetzt in der Nacht nicht zurückbringen. Also werden wir unser tiwa-titmas gemeinsam haben, du und ich. Wir werden dort oben in dem Kreis warten, daß die Geister in uns eingehen.»
    Obwohl ich sehr erleichtert war, daß ich die Nacht nicht allein auf dem Bald Mountain verbringen mußte, war mir die Sache mit den Totemgeistern nicht geheuer.
    «Warum sollen die Geister in uns eingehen?» Die Frage fiel mir nicht leicht.
    Sam antwortete nicht, aber er drückte meine Hand, um mir zu bedeuten, daß er meine Frage gehört hatte. Wir stiegen weiter durch den dunklen Wald, ziemlich lange, wie mir schien, bis wir endlich zu dem Kreis kamen. Im Wald war es immer noch sehr dunkel, aber dort draußen schien der Mond auf die kahle Bergkuppe und den Kreis aus Felsen.
    Hand in Hand verließen Sam und ich den Wald. Als wir in den Kreis traten, geschah etwas Merkwürdiges. Das Mondlicht war hier anders; es glitzerte und glänzte, als ob unzählige Silberteilchen in der Luft schwebten. Und eine leichte Brise erhob sich, die mich frösteln ließ. Aber ich hatte keine Angst mehr. Ich war fasziniert von diesem magischen Ort. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß ich hierher gehörte.
    Sam führte mich in die Mitte des Kreises und kniete sich auf den Boden. Aus der Tasche, die er am Gürtel trug, nahm er bunte Perlen und «Glücksfedern» heraus, von denen ich wußte, daß es Talismane waren, und befestigte sie in meinem Haar. Dann schichtete er in der Mitte des Kreises dicke Äste und Zweige auf und entzündete ein Feuer. Während ich dort stand und mir die Hände wärmte, merkte ich plötzlich, wie kalt mir war – ich war naß und durchgefroren bis auf die Knochen. Die Flammen schlugen hoch in den Himmel, und Funken sprühten in die schwarze Nacht und mischten sich mit den Sternen. Ich hörte Herbstgrillen im Gebüsch, und über uns sah ich den Großen und den Kleinen Wagen.
    «Wir nennen sie Großer und Kleiner Bär», sagte Sam, dessen Augen meinem Blick gefolgt waren. Er saß mit überkreuzten Beinen neben mir auf dem Boden und stocherte im Feuer herum. «Ich glaube, die Bärfrau wird mein Totemgeist werden – obwohl ich sie nie von Angesicht zu Angesicht gesehen habe.»
    «Warum nicht der Bär?» fragte ich überrascht. «Die Bärin ist ein großes Totemtier», sagte Sam. «Wie die
    Löwin beschützt sie ihre Jungen – manchmal sogar vor dem Vater der Jungen – , und sie sorgt für Nahrung.»
    «Was passiert, wenn dein Totemgeist… in dich eingeht?» fragte ich, denn dieser Vorgang beunruhigte mich noch immer. «Ich meine, tut er dir etwas?»
    «Ich weiß es nicht, Hotshot», sagte er lächelnd. «Ich habe es noch nicht erlebt – aber ich denke, wir werden es wissen, wenn es mit uns geschieht. Mein Großvater Dark Bear hat mir gesagt, daß sich der Totemgeist sanft nähert, manchmal in menschlicher Gestalt und manchmal als Tier. Dann entscheidet der Geist, ob du bereit bist. Und wenn du bereit bist, spricht er zu dir und gibt dir deinen geheimen heiligen Namen – einen Namen, den niemand außer dir kennen wird, es sei denn, du willst das Geheimnis mit jemand teilen. Dieser Name, sagt mein Großvater, ist die geistige Kraft eines Kriegers und in vieler Hinsicht wichtiger als unsere ewige Seele.»
    «Warum ist dein Totemgeist noch nicht in dich eingegangen, um dir deinen Namen zu geben?» fragte ich. «Du hast es doch schon so oft versucht.»
    Die lackschwarzen Haare, die Sam bis auf die Schultern fielen, verdeckten seine Augen, so daß ich nur sein Profil sehen konnte – dunkle Wimpern, kräftige

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