Neville, Katherine - Der magische Zirkel
schwarze Diamanten in der Sonne. Erstarrte Lavaströme wanden sich auf dem Talboden, über den die verlassene Straße nach Sun Valley führte.
Wir hatten meinen Wagen genommen, weil der von Olivier immer noch in der Werkstatt war; aber Olivier fuhr. Jason saß oder stand, die Vorderpfoten gegen das Armaturenbrett gestemmt, und behielt Landschaft und Fahrtrichtung im Auge. Mein Arm war inzwischen so weit geheilt, daß ich wieder fahren konnte; deshalb war Olivier überrascht, als ich ihn bat, die ganze 150 Meilen lange Strecke zu fahren, damit ich auf dem Rücksitz die Bibel lesen konnte. Vielleicht dachte er, mein jüngster Kummer habe mich veranlaßt, Trost in der Bibel zu suchen; aber das war es nicht, was ich im Hohenlied, das aufgeschlagen auf meinem Schoß lag, zu finden hoffte.
Es war seltsam, daß Sam zur Bibel gegriffen hatte, um seine Nachricht zu verstecken, denn keiner von uns war in Glaubensdingen besonders beschlagen.
Als wir Sun Valley erreichten, fuhr Olivier auf den Parkplatz, packte unsere Taschen und Ski aus, und dann gingen wir ins Hotel. Ich brachte Jason in mein Zimmer und rief Laf an, um ihn wissen zu lassen, daß wir da waren. Ich hatte Laf darüber informiert, daß ich Freunde mitbringen würde. Laf hatte geantwortet, daß er uns erwarte und uns alle zum Brunch einladen würde. Wolfgang war jedoch in Nevada aufgehalten worden, so daß unsere heutige Runde nur aus Onkel Lafcadio, Olivier und mir bestehen würde – dachte ich jedenfalls. Nachdem Olivier und ich unsere Sachen in unsere Zimmer gebracht hatten, gingen wir hinunter in den berühmten Speisesaal des Hotels, um Laf zu begrüßen.
Der aus großen Natursteinen aufgemauerte Kamin, die holzgetäfelten Wände, die hohen Decken mit den Kronleuchtern, die weiß gedeckten Tische mit Platztellern aus schwerem Silber und die riesigen Fenster mit Blick auf verschneite Wiesen – das alles erinnerte an eine Zeit, die hundert Jahre zurücklag. Sun Valley war von Eisenbahngesellschaften gebaut worden, um die Reichen und Berühmten in die unbekannte und deshalb exotische Wildnis der Idaho-Rockies zu locken.
Der Oberkellner führte Olivier und mich durch den Raum zu einem großen runden Tisch am besten Platz vor den Fenstern, der für uns reserviert war. In der Mitte des Tischs, auf weißem Damast, prangte eine Schale mit blutroten Rosen. Kein anderer Tisch war ähnlich dekoriert. Einige Gäste blickten diskret zu uns herüber, als wir Platz nahmen, unsere Weingläser sofort gefüllt wurden und wie von Zauberhand ein Korb mit frischen, warmen Brötchen auf unserem Tisch stand. Der Oberkellner persönlich nahm den Dom Perignon aus dem Eiskübel neben unserem Tisch und füllte unsere kristallenen Champagnergläser.
«Ich habe noch nie erlebt, daß hier jemand so bedient wurde», sagte Olivier, als wir allein waren. «Normalerweise zeigen sie einem die kalte Schulter und servieren noch kälteres Essen.»
«Du meinst den Champagner und die Rosen?» sagte ich. «Das ist alles für meinen Onkel Lafcadio und dient nur zur Einstimmung des Publikums. Er ist der große Zampano.»
In diesem Augenblick – das Timing war perfekt – fegte Laf durch die Flügeltüren auf der anderen Seite des Speisesaals. Zu seinem Gefolge gehörten sein persönlicher Kammerdiener, eine mir unbekannte junge Dame und mehrere Kellner. Während er in seinem eleganten Cape den Saal durchquerte und Finger für Finger die Handschuhe abstreifte, entwickelte er eine solche Sogwirkung, daß sich die Köpfe der anderen Gäste wie von selbst in seine Richtung drehten. Onkel Laf legte keinen Wert darauf, unerkannt zu bleiben – was ihm auch nicht gelungen wäre.
Während Laf mit langen Schritten den Raum durchmaß, schwenkte er seinen Stock mit dem Goldgriff vor sich her, als müßte er Gänse oder Enten von seinem Pfad vertreiben. Ich stand auf, um ihn zu begrüßen. Als er die Arme ausbreitete und mich umarmte, glitt das Cape von seinen Schultern. Es wurde – mit einem Finger und bevor der Saum den Boden berührte – von Volga Dragonoff, Lafs transsylvanischem Diener, aufgefangen und mit einer geschickten Drehung geworfen, worauf es perfekt gerafft auf dem Unterarm des Dieners landete.
Laf umarmte mich, ohne darauf zu achten, was hinter ihm vorging.
«Gavroche! Welche Augenweide!» sagte er strahlend und hielt mich ein Stück von sich ab, um mich besser betrachten zu können.
Die Kellner hatten rings um den Tisch die Stühle für uns zurechtgerückt und warteten darauf, daß
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