Neville, Katherine - Der magische Zirkel
der Schuft, den ich mir vorgestellt hatte? Aber Pandora hatte mit ihren Enthüllungen erst begonnen.
«Als deine Mutter Hieronymus geheiratet hatte», sagte sie, «investierte er bald danach das Vermögen deines Vaters in ein industrielles Bergbaukonsortium, das er so ausbaute, daß es nicht mehr vom provinziellen Afrika aus geleitet werden konnte. Eine Weltstadt wie Wien war der geeignete Ort dafür. In Wien lernte dein Stiefvater bald, daß es nicht genügte, reich zu sein und eine schöne Frau zu haben, über deren Vermögen er frei verfügen konnte. Um in den vornehmen Salons zu verkehren, und das wollte er, brauchte man auch einen einwandfreien gesellschaftlichen Leumund. Im katholischen Österreich mußte deshalb eine Herkunft aus ärmlichen calvinistischen Verhältnissen vertuscht werden; und es durften auch keine Geschichten über die unbekannte Herkunft und die Erziehung eurer Mutter in einem Waisenhaus durchsickern. Von einer Dame wie Hermione Behn erwartete man zum Beispiel, daß sie musizierte oder malte, aber so etwas hatte sie nie gelernt.
Aber das war andererseits auch wieder ein Segen. Denn obwohl Hermione im Haus ständig unter Beobachtung stand, durfte sie Lehrer haben, die sie und ihre Kinder unterrichteten und die sie sich selbst aussuchen konnte. Die Unterrichtsstunden waren für sie die einzigen Gelegenheiten, hin und wieder mit jemand allein zusammenzusein, der nicht unter der völligen Kontrolle ihres Ehemannes stand. Auf diese Weise bin ich eurer Mutter begegnet. Sie hatte schon sehr viele Lehrer bemüht, aber immer nur für kurze Zeit, weil keiner über die Eigenschaft verfügte, die sie sich heimlich wünschte.»
«Wieso heimlich?» fragte ich überrascht.
Pandora sah mich mit einem merkwürdigen Ausdruck an und sagte: «Ja weißt du, deine Mutter war überzeugt, daß sie nur mit einem Lehrer zufrieden sein würde, der aus Salzburg kam.»
«Aus Salzburg!» rief ich und hatte plötzlich begriffen. «Meine Mutter wollte mich finden – aber er hat es nicht erlaubt, nicht wahr?»
Pandora nickte und fuhr fort: «Ich hatte einen Freund. Er hieß Gustl und studierte Bratsche an der Wiener Hochschule für Musik. Nebenbei gab er Musikunterricht, um sich etwas dazuzuverdienen. Gustl stammte aus einer Stadt in der Nähe von Salzburg, und er wußte, daß ich dort Familienangehörige hatte. Als deine Mutter beim Vorstellungsgespräch mit ihm auf Salzburg zu sprechen kam, hat er mich, seine Freundin, erwähnt, und so wurde ich die Musiklehrerin im Hause Behn.»
«Und dann hat Pandora dich in Salzburg gefunden», mischte sich Zoe ein, «und deshalb wissen Mutter und Earnest und ich so viel über dich.»
«Aber Sie haben mich nie in Salzburg besucht», sagte ich. «Tatsächlich?» entgegnete Pandora mit hochgezogenen
Brauen.
Wir waren inzwischen in die Mitte des Parks gelangt, wo die Wege sternförmig zusammenliefen. Hier stand das Riesenrad, von dem Earnest gesprochen hatte. Es war so hoch, daß es in den dichten Wolken verschwand, und mit den silbrigen Gondeln sah es aus wie mit Lametta behangen. An einem klaren Tag, dachte ich, könnte man von oben bestimmt die ganze Ringstraße sehen, den «magischen Kreis», der den historischen Kern Wiens umschließt. Ein Stück weiter stand das Karussell. Die Straußenvögel, Giraffen und Elefanten wirkten in dieser düsteren Schneelandschaft sehr fehl am Platz. Das Karussell drehte sich auf geheimnisvolle Weise; niemand schien es anzutreiben. Es drehte und drehte sich, als ob uns die Tiere erwartet hätten.
In der Nähe des Karussells, auf einer Steinbank unter verschneiten Bäumen, saß ein Mann mit dem Rücken zu uns. Er trug eine Seemannsjacke und eine Strickmütze. Als er uns hörte, drehte er sich um. Auch er schien uns zu erwarten. Aber ich legte die Hand auf Pandoras Arm und zwang sie stehenzubleiben.
«Warum hat mich mein Stiefvater von meiner Mutter ferngehalten?» fragte ich. «Welche Mutter würde so etwas zulassen? Auch wenn sie eine Gefangene war, wie Sie sagen, hätte sie in all den Jahren bestimmt einen Brief hinausschmuggeln können.»
«Das ist jetzt alles nebensächlich», sagte Pandora ungeduldig. «Ich habe dir gestern gesagt, daß du in Gefahr bist. Wir alle sind in Gefahr, sogar hier an diesem einsamen Ort, wenn uns jemand belauscht. Es geht um Geld, Lafcadio – um das Geld deines Vaters Christian Alexander, um fünfzig Millionen Pfund in Krügerrand, und wertvolle Bergwerksanteile. Die Zinsen aus diesem Vermögen, das für dich
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