New York für Anfaengerinnen
treiben, 750.000 Dollar Miete für ein Anwesen in Bridgehampton hinblätterte. Alles schön in den Klatschspalten der New York Post dokumentiert. Aber zurück zum Kalender. Am heutigen ersten Dienstag im September fing also laut New Yorker Zeitrechnung nicht nur der Herbst an, sondern auch das richtige Arbeitsleben, das im Juli und August mit summer hours (von acht Uhr morgens bis drei Uhr nachmittags) und summer casual (nackte Beine, keine Krawatten) als solches nicht richtig ernst genommen wurde.
Zoe trug heute nicht fall/winter , was erstens daran lag, dass sie noch niemand in diese spezielle Geheimregelung (wie noch viele andere ungeschriebene Gesetze der New Yorker Gesellschaft) eingeweiht hatte, und zweites, dass es draußen mindestens sechsundzwanzig Grad warm war. Morgens um sieben wohlgemerkt. Außerdem hatte Zoe es noch nicht geschafft, ihre Koffer vollständig auszupacken. Den restlichen August hatte sie mit fleißigem Shopping verbracht, sodass ihr göttlicher begehbarer Kleiderschrank allmählich weniger begehbar geworden war und ihr neuer, ganz normaler Schrank nicht genug Platz für ihre gesammelten Fummel hatte. Denn Zoe war umgezogen. In ein one bedroom apartment . Unterm Dach. Monatsmiete 2.850 Dollar. In Brooklyn.
Als sie am Freitag vor dem langen Labor Day Weekend beim Auszug aus den Four Seasons Executive Residences zum letzten Mal die Tür zu 47C zugezogen hatte, hatte sie ihren ganzen Zoe-Mut zusammengenommen und ein Zettelchen unter der Tür von 47A durchgeschoben. Vom Portier Devon wusste sie, dass McNachbar noch bis Ende November dort eingebucht war, obwohl sie selbst ihn nie wieder getroffen noch irgendetwas von ihm gehört hatte. Hey Stranger, würde dich gerne wiedersehen! , stand auf dem Zettel. Sowie ihre Handynummer. Kaum war der Zettel auch für die schlanksten Finger unerreichbar weit hineingeschoben, überkam Zoe ein tiefes »Das wirst du noch bereuen«-Gefühl.
Jetzt, in Brooklyn, betrachtete Zoe ihre von blinden Stellen immer wieder unterbrochene Reflexion in einem Ganzkörperspiegel mit abblätterndem Goldrand, den die Vormieterin gütigerweise zurückgelassen hatte, und befand sich bereit für den großen Tag. Sie trug ein zitronengelbes Etuikleid von Theory, dazu Riemchen-Sandalen in nude von Michael Kors. Die Verlegerin konnte kommen. Franziska Gräfin von Schönhoff hatte sich heute in der New Yorker Dependance von Schönhoff Publishing angekündigt, um mehrere Personalien offiziell zu verkünden. Sie wollte Zoe vorstellen, die neue Digital-Queen, sowie den neuen Amerika-Chef. Ein Ami sollte er sein, hieß es im Flurfunk. Ein Freund ihres verschollenen Sohnes. Justus Theo von Schönhoff hätte eigentlich irgendwann den Laden der Frau Mama übernehmen sollen. In seinem Abschlussjahr an der Uni war er dann aber in den Semesterferien zur Vipassana-Meditation ins nordindische Sravasti gefahren statt in die Karibik nach St. Barts – und nie mehr zurückgekommen.
Zoe stöckelte die Treppe ihrer neuen Behausung herunter. Das Townhaus aus rotbraunem Sandstein lag an der President Street in einem beschaulichen Stadtteil Brooklyns, der Carroll Gardens hieß und laut ihres Büroboten Michelangelo, der in der Gegend aufgewachsen war, völlig sicher war. »Außer, du willst ristorante aufmachen, cara mia «, hatte er gesagt. Dann würde sie Schutzgeld zahlen müssen. Zoe Schuhmacher mietete sich also guten Gewissens in das angestammte Jagdgebiet der New Yorker Cosa Nostra ein.
Sie lief die von großen alten Bäumen gesäumte President Street entlang und versuchte sich zu erinnern, wo die U-Bahn-Station war. Irgendwas mit 2nd Place. Dort hatte vor kurzem offenbar eine Art Bäckerei-Eisdiele-Confiserie mit dem unmöglichen Namen Momofuku Milk Bar aufgemacht, was ihr ihre neue Vermieterin mindestens schon drei Mal stolz erzählt hatte. Angeblich gab es dort Eissorten, die per Copyright geschützt waren, weil sie so gut schmeckten. Zum Beispiel cornflakes milk , die nach der Restmilch in der Schüssel schmeckte, wenn man eine Portion Frosties vertilgt hatte. Zoe fand diese Geschmacksidee geradezu phänomenal, da sie die ganzen bisherigen vierunddreißig Jahre ihres Lebens schon der Auffassung gewesen war, dass man Frosties nicht der Frosties wegen aß, sondern der Restmilch wegen, die es anschließend aus der Schüssel zu schlürfen galt. Sie fand den 2nd Place, die Momofuku Milk Bar und somit die U-Bahnstation, aber das Eis musste bis heute Abend warten – quasi als Belohnung für
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