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New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Remke
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einen sicherlich spektakulären Tag.
     
    *
     
    Der Konferenzsaal mit Blick auf den East River war rappelvoll. Nur Redakteure durften am großen Tisch sitzen, Praktikantinnen und Assistentinnen nahmen auf den Fensterbänken Platz oder lehnten an den Wänden. Zoe wählte einen Stuhl ganz hinten links am Oval. Möglichst weit weg vom Feind, wie schon damals im Lateinunterricht. Es gab Kaffee und Fidji-Wasser in diesen lustigen, tropisch bedruckten Flaschen, die tatsächlich von den Fidschi-Inseln eingeflogen wurden, sowie Blaubeer-Muffins. Zoe schnappte sich sofort eins, schließlich waren unmöglich genug für alle da. Als sie sich gerade ein extragroßes, leckeres Stück abbröselte und in den Mund schob, kam Verlegerin von Schönhoff zur Tür hereingeschwebt. Die Dame war vierundsechzig, trug eines dieser zeltähnlichen A-Line-Kleider von Marni, die diese Saison in waren, und ihr eisgraues Haar war zu einem kunstvollen französischen Chignon am Hinterkopf verschlungen. Sie hatte in den Siebzigerjahren ein Imperium von Modemagazinen und parallel dazu einen Versandhandel aufgebaut – den legendären Schönhoff-Katalog, der zwei Mal jährlich telefonbuchdick in einer Gesamtauflage von fünfundzwanzig Millionen Exemplaren erschien. Unheimlich clever war, dass in Schöne Frau – schöne Woche dann zu Ostern der rosafarbene Häschen-Eierkocher (»Gelingt garantiert«) angepriesen wurde, der im Katalog für 12,99 Euro zu haben war. Synergie-Effekt hieß das vierzig Jahre später auf Berater-Boy-Deutsch.
    Im Schlepptau hatte die Schönhoff heute den Mann, auf dessen Tischkarte Thomas Prescott Fiorino stand, President Schönhoff Publishing Inc .
    Er lächelte ein unglaublich charmantes, schiefes Lächeln.
    Blaue Augen.
    Bed hair .
    McNachbar.
    Zoe blieb das Stück Blaubeer-Muffin im Halse stecken. Nicht nur sprichwörtlich, sondern ganz real. Der Mann, dem sie am Sonntag vor vier Wochen Dinge ins Ohr geflüstert hatte, die strafrechtlich in gewissen amerikanischen Bundesstaaten von Relevanz sein könnten, war ihr neuer Chef.
    Sie hustete, kriegte keine Luft mehr, gestikulierte wild mit den Armen. Doch die Kollegen glotzten nur konsterniert. Keiner tat etwas.
    »Ich ersticke, Leute!«, wollte Zoe rufen, was aber nicht ging, da sie ja gerade dabei war zu ersticken.
    Endlich sprang ein junger Mann auf, den sie trotz akutem Sauerstoffmangel in Lunge und Gehirn als Modeassistent Eros Mittermayer identifizieren konnte, und brüllte: »Weiß jemand, wie das Heimlich-Manöver geht?«
    Stille. Niemand meldete sich.
    Verdammt, hatte denn keiner damals in der elften Klasse einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht?
    Eros schlang seine beiden fleischigen Arme von hinten um Zoes Brustkorb, hob sie mit einem schnellen Ruck aus ihrem Stuhl und ließ sie wieder zurückplumpsen. Der mittlerweile gut aufgeweichte Brocken in ihrem Hals lockerte sich, schoss hinaus und landete in hohem Bogen – und mit einem feuchten Plop ! – exakt in der Mitte des Konferenztisches.
    Frau von Schönhoff starrte ihn angewidert an. Thomas Prescott Fiorino starrte ihn amüsiert an. Der Rest starrte ihn einfach nur an.
    Stille.
    Das war zu viel für Zoe. Sie stürzte zur Tür hinaus.
     
    *
     
    Zoe Schuhmacher war wirklich kein großer Freund von öffentlichen Toiletten in Amerika, weil sie, nun ja, so öffentlich waren. Die Trennwände zwischen den Einzelkabinen hatten einen Spalt vom Boden bis zum Knie, sodass man den Sitznachbarn locker an seinem Schuhwerk identifizieren konnte. Auch vertikal ließ die US-Handwerkerzunft gerne daumenbreite Zwischenräume.
    Warum das so war? Keiner wusste es. Aber den amerikanischen Moralaposteln war zuzutrauen, dass sie damit Sex auf dem Klo oder irgendwelche sonstigen Unanständigkeiten verhindern wollten. Dabei wurden insbesondere Mitglieder der republikanischen Partei, die schwer gegen Schwule wetterten, immer mal wieder auf Bahnhofstoiletten beim Füßeln mit einem Jüngling der horizontalen Beschäftigungssparte von der Polizei erwischt.
    Die Tür zum Klo ging auf. Ein Paar Männer-Loafers mit nackten, behaarten Füßen drin schluppte herein.
    »Du hast hier nix zu suchen, das ist das Damenklo«, rief Zoe.
    »Ich bin asexuell, meine Süße«, antwortete Eros Mittermayer, der etwas dickliche (»untergroß«, nach seiner eigenen Interpretation) achtundzwanzigjährige Modeassistent, der ein Faible für bunte Fliegen und passende Einstecktücher zu seinen makellosen Anzügen hatte, deren Hosenbeine in feinster Thom-Browne-Manier

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