New York für Anfaengerinnen
heute der legendäre Barneys New York Warehouse Sale stattfinden sollte. Vor den verschlossenen Türen drängelte schon ungeduldig eine Meute Modehungriger. Nirgendwo anders auf der Welt gab es wohl eine größere Dichte weiblicher Kleiderständer, die Prada und Miu-Miu trugen, ziemlich unterernährt, aber dafür umso aufgeregter waren, vermutete Zoe.
Solche Sales haben immer etwas latent Aggressives – wie einmal Bürgerkriegszone und zurück, nur dass sich Armeen von fashion victims gegenseitig an die mit viel Bling dekorierten, noch faltenfreien Gurgeln gehen.
Es war kurz vor drei Uhr, und Barneys war von der Feuerwehr wegen Überfüllung und Verstoß gegen die maximale Besucherzahl vorübergehend geschlossen worden.
»Was ist denn das für ein Quatsch? Kommt, lasst uns noch was trinken gehen«, sagte Zoe entnervt. Es war ja nicht so, als würden hier gerade die ersten Bananen in einem DDR-Supermarkt verkauft werden.
»Kommt gar nicht in Frage«, echauffierte sich Eros. »Da müssen wir durch. Für Schönheit muss man leiden.« Seine Augen leuchteten wild entschlossen. »Drinnen ist alles um fünfzig bis siebzig Prozent reduziert, Zoelein. Dolce & Gabbana, Dirk Bikkembergs und Versace. Alles aus der aktuellen Kollektion.«
Plötzlich ging die Tür wieder auf. Zwanzig mit Tüten bepackte selige Kundinnen wurden herausgescheucht, sodass zwanzig erwartungsfrohe hineindurften. Die Meute drängelte stolpernd an den weinroten Absperrkordeln und den beiden schwarzen Türstehern mit ihren Knöpfen in den Ohren vorbei.
»Die Schuhe! Zuerst zu den Schuhen!«, hörte Zoe noch Mimi befehligen, bevor sie zwischen den Kleiderständern verloren ging.
Die Schuhabteilung beim Barneys Sale konnte man getrost als Ground Zero bezeichnen. In der Militärsprache war das die Explosionsstelle einer Atombombe. In den sorgfältig nach Schuhgrößen sortierten Regalen befand sich so gut wie keine Ware mehr. Stattdessen lagen Ballerinas, Pumps, Kitten Heels, Mary Janes, Stilettos und alle erdenklichen Arten von Stiefeln auf mehr oder weniger großen Haufen verteilt auf dem Boden herum. Dazwischen saßen völlig verstrahlte Frauen und probierten Fußbekleidung edelster Art an. Chanel, Lanvin, Miu Miu oder Comme des Garçons – you name it .
Zoe erspähte ein sündhaft teures Paar Prada-Riemchensandalen in Zitrus, das sie vor zwei Wochen bei Saks zwar mal anprobiert, aber wieder zurückgestellt hatte. Der Preis betrug damals umgerechnet ein Viertel ihrer Monatsmiete. Als sie sich diese schnappen wollte, schlug ihr plötzlich eine Bergdorf-Blondine wütend mit dem Schaft eines Paares Louboutins auf die Hände.
»Autsch!«, rief Zoe.
»Das sind meine, bitch ! Lass bloß die Finger davon!«
Dann schob sie sich mit einem demonstrativen Siegerlächeln die Fersenriemchen von fünf Paar Sandalen über die knochigen Unterarme, stapelte drei Paar Ballerinas in Kaugummifarben, zwei Paar schwarze Pumps, irgendwelche Designer-Flip-Flops und waldgrüne Hunter Boots in die linke Ellbogenbeuge und balancierte ihre Angriffswaffe, die Krokodilleder-Louboutins, noch obendrauf. Mit einem gezischten »Viel Glück noch, bitch « ließ sie Zoe stehen. Hier herrschte purer Sozialdarwinismus. Natürliche Auslese. Die Stärkere gewann, dachte Zoe.
Sie war so eingeschüchtert, dass sie sich in die Damenoberbekleidungsabteilung verzog. Eine bei genauerer Betrachtung wunderbare deutsche Wortschöpfung – Damen-ober-bekleidungs-abteilung –, die aber der hier feilgebotenen Ware nicht ganz gerecht wurde. Beim ersten Griff in den wild zusammengehängten Kleiderständer der Größe vier stieß Zoe auf einen grob gestrickten chunky sweater in Eisgrau von Theory, einen Maxirock aus Denim von Marc by Marc Jacobs sowie eine knallenge schokoladenbraune Reiterhose mit schwarzem Ledereinsatz an den Beininnenseiten von Ralph Lauren.
»Wo bitte sind hier die Umkleidekabinen?«
Zoes Mitstreiterin zur Rechten schaute sie nur völlig entgeistert an. Als hätte Zoe sie gebeten, eben mal den aktuellen Stand der Freiheitsbewegungen des arabischen Frühlings in drei Sätzen und nach Fortschritt in den jeweiligen Ländern sortiert zusammenzufassen. Dann deutete sie wortlos auf eine Art Vorhang. Am Ende der Damenoberbekleidungsabteilung war so etwas wie ein gigantisches Bettlaken, das man getrost auch für eine Theaterproduktion hätte gebrauchen können, einmal quer durch den Raum gespannt. Davor stand eine Schlange von mindestens zwanzig Frauen, die scheinbar wahllos
Weitere Kostenlose Bücher