Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Remke
Vom Netzwerk:
Avenues und Querstraßen in kleine Seen mit ungeahnten Untiefen verwandeln würden.
    Zoe blickte besorgt gen Himmel. Die sich dort auftürmenden Wolken leuchteten rot, garstig-grau und lila, wie ein Bluterguss, den man sich bei einem Frontalzusammenstoß mit einer Tischkante eingehandelt hatte. Doch Tom schien den anstehenden Weltuntergang gar nicht wahrzunehmen. Er war ganz hibbelig vor Freude, hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt und sie fest an sich gezogen.
    »Und vor dem offenen Kamin will ich ein Eisbärenfell haben«, verkündigte er übermütig.
    »Du spinnst ja. Dann campieren die Tierschützer von PETA vor unserer Tür.«
    »Dann eben ein Lamm…«
    Tom schaffte es nicht, den Satz zu vollenden. Als hätte man bei einer DVD auf Pause gedrückt, blieb er abrupt unter dem Vordach des Gebäudes – und vor einer fremden Frau – stehen.
    »Vicky, was machst du hier in New York?«, presste er fassungslos heraus.
    »Ich dachte, Daaahling, es wäre an der Zeit, dich mal zu besuchen und zu schauen, was du so treibst«, strahlte die hochgeschossene Frau mit fast schon unanständig karottenfarbener Lockenmähne.
    Mit ihrem unüberhörbaren britischen Akzent hätte sie die schöne, schlanke und in Couture gekleidete Schwester von Sarah Fergusson sein können. Die Frage war nur, ob sie auch zurechnungsfähiger war als Fergie? Dicke, feindselige Regentropfen, die nach dem Aufprall auf dem Boden wieder ein paar Zentimeter in die Höhe hüpften und dann in alle Richtungen zerbarsten, prasselten jetzt immer heftiger auf die Lexington Avenue. Mit der Zielsicherheit einer vollautomatischen Cruise Missile wandte sich die Rothaarige Zoe zu und streckte ihr eine lederbehandschuhte Hand zur Begrüßung entgegen.
    »Guten Abend, meine Liebe. Ich bin Victoria Lancaster Fiorino«, sagte sie und neigte wie ein Kanarienvogel den Kopf betont interessiert zur Seite. »Und Sie müssen Zoe Schuhmacher sein, die Frau, die mit meinem Mann schläft.«

 
    Im Bundesstaat Bayern, Regierungsbezirk Mittelfranken, zwischen schier unendlichen Feldern und Kuhweiden, lag ein kleines Örtchen namens Herpersdorf. 247 Einwohner. Dorthin war Zoe Schuhmacher geflüchtet. Zoe hatte wieder ihr ehemaliges Kinderzimmer unter dem Dach des Fachwerkhauses ihrer Eltern bezogen. Es hatte sich nichts verändert in Herpersdorf. Am gelben Ortsschild klebte immer noch der Aufkleber »Atomkraft – Nein, danke!«, den Zoe und ihre Freundin Steffi dort hingepappt hatten, als die Eltern es ihnen verboten hatten, auf eine Demo nach Wackersdorf zu fahren, wo eine Wiederaufbereitungsanlage für atomare Brennstäbe gebaut werden sollte. Im Bücherregal ihres Kinderzimmers stand die Hanni-und-Nanni -Sammlung, und auf ihrem Bett saß der überdimensionale blaue Schlumpf, den ihr Onkel Peter einmal bei der Kirchweih für sie geschossen hatte. Normalerweise wäre es furchteinflößend gewesen, wenn sich zehn, fünfzehn Jahre lang an einem Ort nichts Nennenswertes getan hätte. Aber in diesem Fall war es tröstlich. Als wäre nichts geschehen.
    Zoe hatte auf dem Weg nach Herpersdorf ihr Handy in einen Papierkorb geworfen und ihr amerikanisches Leben gleich mit. Ihr Laptop lag noch unausgepackt in seiner Tasche unten im Flur, und ihren Eltern hatte sie gesagt, dass sie keine Anrufe entgegennehmen würde, nicht mal wissen wolle, wer dran sei. Sie war wieder da, wo sie angefangen hatte. Der Kreis hatte sich sozusagen geschlossen. Es war ein Fehler gewesen, wegzugehen, davon war Zoe im Nachhinein überzeugt. Ein hochmütiger Fehler vielleicht sogar. Nach München zum Studieren, nach Berlin zu VISION und dann nach New York. Und zu denken, dass die Welt da draußen für sie wäre. Bunter wäre, lauter und voller. War sie aber nicht.
     
    *
     
    »Willst du nicht wenigstens darüber reden?«, fragte ihr Vater am Frühstückstisch zum vierzehnten Mal in zwei Wochen, während Zoe lustlos in ihrem Knuspermüsli rührte.
    »Nein.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein.«
    »Nicht wenigstens die Kurzfassung?«
    »Also gut«, sagte sie unwirsch. »Damit wir es hinter uns haben: Mein neuer Chef war ein klassischer Irrer, der die Menschen in seinem Team behandelt hat wie Leibeigene. Und der Mann, den ich glaubte zu lieben, hatte leider vergessen, mir mitzuteilen, dass er verheiratet ist. Die Journalistin Zoe Schuhmacher, die mit ihrem Online-Feature über das Phänomen der trostlosen Geliebten für den Deutschen Frauenjournalistenpreis nominiert wurde, ist folglich selbst eine trostlose

Weitere Kostenlose Bücher