Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Remke
Vom Netzwerk:
verlangen«, wandte Steffi ein. »Im Nachhinein ist man immer schlauer.«
    »Wenn’s denn nur so wäre. Wenn ich doch jetzt bloß schlauer wäre. Bin ich aber nicht. Kein bisschen. Ich bin nur total verwirrt.«
    »Und was willst du jetzt machen?«, fragte Steffi besorgt.
    »Ich will auf keinen Fall nach Berlin zurück. Dort ist Benni. Dort ist VISION . Ich will mit all dem nichts mehr zu tun haben. Ich habe die große weite Welt satt. Das ist alles nur falscher Glitzer. Ende der Woche habe ich einen Vorstellungstermin bei der Ansbacher Zeitung . Der Chefredakteur ist ein Kegelbruder meiner Eltern, erinnerst du dich?«
    Steffi nickte.
     
    *
     
    Die Zeit bis zum Vorstellungsgespräch vertrieb Zoe sich mit ziellosem Spazierengehen. Seit sie wieder in Deutschland gelandet war, hatte kein einziges Mal die Sonne geschienen. Sie hatte kein einziges Mal blauen Himmel gesehen – in New York fast jeden Tag. Der Nebel lag milchig, dicht und schwer über den Wiesen. Heute lief sie den Feldweg an den Pferdekoppeln entlang, die im Winter natürlich einsam und verlassen waren, und versuchte den Platz im Wald zu finden, wo sie als Kinder ein Baumhaus gebaut hatten, und den alten Bunker aus dem zweiten Weltkrieg, den sie damals entdeckt, in den sie sich aber nie hineingetraut hatten. Aber wenn sie ehrlich war, versuchte sie, sich selbst zu finden.
    Dabei half es nicht gerade, dass zu Hause ihre Mutter wartete, die – Zoe wusste es genau – insgeheim froh war, dass die blöden Amis ihre Tochter wieder nach Hause geschickt hatten. Karin Schuhmacher hatte ein echtes Problem mit Amerikanern. Mit einem Volk, »das einen drittklassigen Schauspieler zum Präsidenten gewählt«, »seinen Status als Weltmacht durch Wettrüsten betoniert« und »die Fettleibigkeitsepidemie durch Fast Food über uns gebracht« hat. Alles O-Töne Karin Schuhmacher. Dabei war sich Zoe gar nicht sicher, ob ihre Mutter überhaupt jemals einen Film mit Ronald Reagan gesehen hatte.
    Wenn Zoe in Amerika geblieben wäre, hätte ihre Mutter sie niemals dort besucht. Sie reise prinzipiell nicht nach Amerika, hatte sie Zoe vor deren Umzug in die Vereinigten Staaten des Bösen und Hässlichen explizit erklärt. Vorurteile lebten sich aus der Ferne eben leichter.
     
    *
     
    »Setzen Sie sich, Zoe. Ich darf doch Zoe zu Ihnen sagen, nicht wahr?«, fragte der Chefredakteur der Ansbacher Zeitung . Er kannte sie praktisch seit ihrer Geburt. Schon gefühlte hundert Jahre lang gingen ihre Eltern mit ihm und seiner Frau immer freitags zum Kegeln. Zoes Mutter hatte den Termin bei Herrn Gottfried ausgemacht. Sie war der Meinung, dass Zoes Leben wieder in geordnete Bahnen gebracht – und vor allem zurück in die Heimat verlegt – werden musste. Und was konnte geordneter – und näher – sein als eine Führungsposition bei der Lokalzeitung?
    »Die Ressortleitung für die Wochenendbeilage Ansbach und seine Region ist bei uns gerade freigeworden«, sagte Gottfried. »Würde Sie das interessieren?«
    »Das könnte ich mir gut vorstellen«, antwortete Zoe. Sie würde fortan über die Ferienregion rund um den Brombachsee schreiben. Über die Rock- und Popbands des Taubertal Festivals. Über das Altstadtfest und verkaufsoffene Sonntage. Handfeste Themen, ehrlich, bodenständig. Die Steffi-Version der Zoe sozusagen. Wie sie es sich gestern Morgen noch gewünscht hatte. Am 1. Februar, also in sechs Wochen, sollte sie anfangen. Als wäre nichts geschehen.
     
    *
     
    So tauchte Zoe Schuhmacher pünktlich zu Weihnachten tief in ihre Vergangenheit ab, in die vor Berlin und vor New York, und verdrängte den Krater in ihrem Herzen, als gehöre er zu einer anderen Person. Psychologen würden jetzt sagen, jedes Beziehungsende sei ein bisschen wie der Tod, eine Phase der Trauer gehöre dazu, und dass man diese zulassen müsse, wusste Zoe. Frauen meisterten ihrer Erfahrung nach dieses Zulassen gemeinhin, indem sie wochenlang heulten und literweise Eiscreme in sich hineinschaufelten. Männer, indem sie einen trinken gingen, als gäbe es kein Morgen; danach war dann alles wieder gut. Zoe entschied sich für die kalorienärmere, männliche Variante. Wobei die Tatsache, dass es wirklich schwer war, in Ansbach ihr geliebtes Häagen-Dazs-Eis zu finden, durchaus eine Rolle bei der Entscheidungsfindung gespielt hatte.
    Das Café-Bar-Restaurant Unrat am Drechselgarten war eine Ansbacher Institution. Es war in Zoes Jugendzeit DIE In-Kneipe gewesen und hatte, was in der Gastronomie sehr selten vorkam,

Weitere Kostenlose Bücher