Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
New York für Anfaengerinnen

New York für Anfaengerinnen

Titel: New York für Anfaengerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Remke
Vom Netzwerk:
hielt ihr Baby Lukas auf dem Arm, das jetzt ungefähr drei Monate alt sein musste. Die Große, Leonie, war offenbar noch in der Schule. Sie musste in der zweiten oder dritten Klasse sein. Steffi und Zoe waren einmal beste Freundinnen gewesen. Früher hatten sie zwei Hausnummern auseinander gewohnt, waren in den gleichen Kindergarten und in dieselbe Grundschulklasse gegangen. Steffi hatte den Barbie-Swimmingpool, Zoe den Barbie-Campingwagen besessen, und beide waren natürlich die exakt gleichen Dreigangfahrräder in Weiß gefahren, mit pinkfarbenem Körbchen auf dem Gepäckträger – so wie sich das für allerbeste Freundinnen eben gehörte.
    »Ich freue mich so, dass du da bist, Zoe«, rief Steffi schon, als Zoe noch am Gartentor des Jägerzaunes stand. »Gut siehst du aus.«
    »Lass mal stecken«, antwortete Zoe, schließlich wusste sie genau, dass ihre Mutter Steffi schon über die Tochter mit dem gebrochenen Herzen gebrieft hatte. Wahrscheinlich spekulierte auch jeder hier im Dorf darüber. So waren Dörfer nun mal. Wenn die verlorene Tochter plötzlich heimkehrte und tagelang nicht das Haus verließ, wurde geflüstert: »Da stimmt was nicht.«
    Steffi führte Zoe in ihre Essküche und legte den fast eingeschlafenen Lukas in ein Babykörbchen. Sie hatte bereits Wasser aufgesetzt. Eine Packung Wellnesstee mit einer so superentspannten Frau im Lotussitz darauf, dass Zoe ihr am liebsten eine gescheuert hätte, stand neben zwei Porzellantassen bereit.
    »Wie geht es dir?«, fragte Steffi vorsichtig.
    Tja, wie ging es ihr? Wenn Zoe das gewusst hätte, wäre sie schon ein Stück weiter. »Ich bin irgendwie leer.« Etwas Besseres fiel ihr nicht ein.
    Sie schwiegen. Es war kein unangenehmes Schweigen, aber auch kein angenehmes. Früher, mit fünfzehn, hätte Steffi so etwas gesagt wie: »Ich weiß genau, wie du dich fühlst«. Und Zoe hätte sich sofort besser gefühlt, weil sie gewusst hätte, dass jemand sie hunderttausendprozentig verstand. Heute mit vierunddreißigeinhalb war das anders. Nicht nur, weil sie älter waren und das Leben sich als facettenreicher – aber auch fallenreicher – entpuppt hatte. Sondern auch, weil Steffi exakt das Leben führte, das Zoe führen würde, wenn sie zu Hause in Herpersdorf geblieben und nicht nach München zum Studieren, nach Berlin zum Arbeiten und nach New York zum Karrieremachen gegangen wäre. Alternative Geschichte, quasi. Steffi war Zoes Gegenentwurf und Spiegelbild in einem. Sie hätte sich über die Jahre hinweg nicht weiter von Zoe entfernen können und war ihr doch so nah.
    Steffi hatte nach der Schule eine Banklehre im nahen Ansbach gemacht, mit fünfundzwanzig ihren Freund Andreas geheiratet. Ihre Eltern hatten ihnen das Nachbargrundstück zur Hochzeit geschenkt. Steffi und Andreas hatten gebaut und zwei Kinder bekommen. Auch wenn Zoe das damals völlig geradlinig, langweilig und vor allem unglaublich unexotisch erschienen war, beneidete sie Steffi heute um dieses Leben. Es war ein ehrliches Leben, ein schönes Leben, eines, das vielleicht weniger Höhen und Tiefen, aber dafür sehr viel mehr Gewissheit hatte. Steffi war eine dieser neuen Mütter, die mit ihren Säuglingen in PEKiP-Kurse gingen. Sie kochte und pürierte die Babynahrung selbst, statt Gläschen zu kaufen, und urlaubte mit Mann und Nachwuchs in zertifizierten Familienhotels, die statt mit Sternen mit lustigen Smileys ausgezeichnet waren. Steffi hatte bewusst ihren Job bei der Ansbacher Sparkasse aufgegeben und war Vollzeitmutter geworden, weil sie fand, das sei sie ihren Kindern schuldig. Schließlich war sie selbst als Schlüsselkind aufgewachsen und musste damals immer nach der Schule allein daheim zurechtkommen. Klar hatte Steffi ab und an Zoff mit Andreas, dem der Stammtisch mit seinen Fußballjungs heiliger war als Weihnachten und Ostern zusammen. Klar stritten sie darüber, ob sie sich noch ein drittes Kind leisten konnten. Oder wollten, wie Steffi es eher sah.
    Ein ganz normales Leben also. Eines, das Zoe hätte auch haben können.
    Steffi goss den Tee auf, räumte die nervige Lotussitzfrau zurück in den Küchenschrank und stellte ein Schälchen mit zweifellos fair angebautem Kandiszucker auf den Tisch.
    »Die Gedanken in meinem Kopf fahren einfach nur Dauerkarussell«, versuchte Zoe zu erklären. »Ich will den Zeitpunkt finden, wo ich die Bremse hätte ziehen müssen. Wo ich hätte merken müssen, dass ich in einem schlechten Film mitgespielt habe.«
    »Das kannst du nicht von dir

Weitere Kostenlose Bücher