New York für Anfaengerinnen
Geliebte.«
Zoes Vater schwieg. Das war ein alter Trick aus Patienten- und Vorstellungsgesprächen, der die andere Seite dazu bringen sollte, sich um Kopf und Kragen zu reden. Er funktionierte fast immer.
»Das in New York, das war nicht ich. Ich bin keine Debütantin, die auf einem Ball in die vornehme Gesellschaft eingeführt wird, und ich lasse mich auch nicht in einem Millionen-Loft als Geliebte aushalten.«
Zoes Vater schwieg immer noch, doch dann schaltete sich ihre Mutter ein und zerstörte seine Taktik.
»Ich bin jedenfalls froh, dass du wieder da bist. Ich habe nie verstanden, was du an Amerika so toll gefunden hast.«
Zoes Vater guckte sie warnend an und sie schwieg beleidigt.
»Das ist die Kurzfassung«, schob Zoe noch nach. »Es gibt nichts daran zu analysieren und nichts zu rekapitulieren. Das ist das erste und das letzte Mal, dass ich darüber gesprochen habe.«
Carrie aus Sex and the City hatte einmal gesagt: »Nachdem eine Beziehung in die Brüche gegangen ist, sind bestimmte Straßen, Orte, manchmal sogar Tageszeiten schwer zu ertragen. Die Stadt, in der man wohnt, wird dann zum Schlachtfeld, gespickt mit emotionalen Tretminen. Man muss sehr aufpassen, wohin man steigt, um nicht in die Luft gejagt und in kleine Einzelteilchen zersprengt zu werden.« Wie recht sie wieder einmal hatte.
Zoe konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob sie Vicky Fiorino unter dem Vordach des Chrysler Building noch geantwortet hatte oder nicht. Sie wusste aber, dass sie das nächste gelbe Taxi angehalten hatte, eingestiegen war und dem Taxifahrer befohlen hatte: »Zum Flughafen. JFK, nicht La Guardia.«. Dann hatte sie Eros angerufen und ihn gebeten, ihren Pass aus ihrer Wohnung zu holen und ihn per Boten zum Terminal 1 an den Lufthansa-Schalter bringen zu lassen. Ein Notfall in der Familie, hatte sie ihn angeschwindelt, damit er keine Fragen stellen würde. Anschließend hatte sie telefonisch ein One-Way-Ticket über München nach Nürnberg gebucht. Sie hatte kurz überlegt, ob sie zurück nach Berlin fliegen sollte. Aber da gab es zu viele Leute, die sie kannten. Unter anderem Benni.
In dem Moment unter dem Vordach, als Toms Ehefrau, von deren Existenz er ihr nie erzählt hatte, vor ihr gestanden hatte, war Zoes Welt zusammengebrochen. Sie hatte diesem New York vertraut, eine faire Chance zu bekommen, dort nach Benni ein neues Leben beginnen zu können. Sie hatte Tom vertraut. Hatte sie ihn nicht sogar irgendwann als »guten Mensch« bezeichnet? Wie naiv von ihr. Wie töricht. Warum sollte jemand, der offenbar eine Karriere als Herzensbrecher gemacht hatte, sich plötzlich ändern? Auch wenn er ein paar Wochen lang so tat. Bei mir enden alle Beziehungen nur im Chaos, Zoe. Das hast du nicht verdient. Hatte er das nicht genau so formuliert? Was für eine perfekt-perfide Masche!
Im Grunde hatte Thomas Prescott Fiorino sie benutzt. Das war Zoe schon im Taxi zum Flughafen klar geworden. Wie alle diese Männer in ihrem Geliebten-Feature, diese Wettermoderatoren und Weltbankchefs, die ihre Zweit-, Dritt- und Viertfrauen über die Welt verteilt parkten – und nach Belieben benutzten. Hatte er ernsthaft geglaubt, sie würde ihm nicht auf die Schliche kommen, wenn sie erst einmal zusammenwohnten? Wie schafften diese Männer es, mehrere Parallellieben zu führen? Rein organisatorisch, aber vor allem emotional? Zoe hatte das alles einfach nur widerlich gefunden.
Dann später im Flugzeug hatte sie weder geheult noch gezittert, und sie war auch nicht ohnmächtig geworden. Sie hatte einfach nur unter undefinierbaren körperlichen Schmerzen gelitten. Liebe war eben doch mehr eine Droge als ein Gefühl, hatte sie in diesem Moment gedacht. Und sie war ganz offensichtlich auf Entzug.
Zoe Schuhmacher war in diesen Stunden auf Vollautomatik gelaufen; ihr Gehirn hatte systematisch seine To-do-Liste abgearbeitet, um sie so schnell wie möglich vom Tatort wegzubringen. Sie hatte die Anrufe und SMS von Tom auf ihrem iPhone weggedrückt, genauso wie ihre Tränen, und das Telefon vor dem Boarding in den Abfalleimer an Gate 7 geworfen. Zoe hätte erwartet, dass sie sich mit jedem Kilometer, den sich der Airbus weiter von den USA entfernt hatte, ein klein bisschen weniger schlecht fühlen würde. Aber in den sechs Stunden über dem Atlantik waren ihre Schmerzen gerade einmal von 100 auf vielleicht 99,8 zurückgegangen.
*
Zu Hause in Herpersdorf wartete schon Zoes Kindheitsfreundin Steffi in der Haustür auf sie. Steffi
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