New York für Anfaengerinnen
unwiderstehlich.«
*
Jede Beziehung hat zwar ihren ganz eigenen Rhythmus, folgt aber dennoch einem sich immer wiederholenden Muster. Nach der Phase der schrecklichen Sehnsucht, des grenzenlosen Verlangens, der überwältigenden Leidenschaft und der seelischen Qualen ist entweder Schluss, oder es stellt sich ein angenehmer Waffenstillstand zwischen beiden Parteien ein.
So hatte Zoe es zumindest vor ein paar Jahren einmal in einer Titelgeschichte mit der schönen Überschrift »Die verflixte siebte Woche. Tricks für eine dauerhafte Beziehung« für VISION fabuliert. Irgendwie fand sie es jetzt unheimlich befriedigend, dass sie damals keinen Quatsch geschrieben hatte, denn genau so war es wirklich.
Zwei Wochenenden später hatte Zoe die linke Seite von Toms Bett annektiert, was man an einem großen, quadratischen deutschen Kopfkissen erkennen konnte, das Tom extra für sie hatte besorgen lassen. Das kleine, rechteckige amerikanische, »auf dem kein vernünftiger Europäer schlafen kann« (O-Ton Zoe), war dezent entsorgt worden. Außerdem gab es neuerdings immer fettfreie Milch im sonst weiterhin leeren Kühlschrank für einen morgendlichen Café Latte, den Tom ans Bett zu servieren pflegte, wenn Zoe über Nacht blieb.
An diesem Sonntagmorgen saß sie im Schneidersitz auf Toms Bett, nippte an ihrem Latte und blätterte durch die Style Section der New York Times , die mit der neu entdeckten Begeisterung amerikanischer Models, Hipster und Schauspieler für Grünkohl aufmachte.
»Frisch gepresster Grünkohlsaft mit Apfel und Petersilie«, rief Zoe. »Da gruselt es mich schon beim Lesen.«
»Eine Saftbar-Kette mit Lieferservice wäre jetzt eine richtig gute Geschäftsidee«, entgegnete ihr Tom, der sich an einer Reportage im Auslandsteil festgelesen hatte.
»Grünkohl ist Nachkriegsessen, würde meine Oma dazu nur sagen.«
»Grüne Saftkuren sind das neue Yoga, würde ich dazu nur sagen.«
Zoe lehnte ihren Kopf an Toms Schulter. Wir zwei sind tatsächlich am Punkt dieses angenehmen Waffenstillstandes angekommen, musste sie wieder an ihren »Die verflixte siebte Woche«-Artikel aus VISION denken. Worüber sie sich keineswegs beklagen wollte. Im Gegenteil, dachte Zoe. Ich bin fast fünfunddreißig, Freunde der Nacht. Been there, done that.
Zoe Schuhmacher war bereit für gesittete Zweisamkeit.
*
Lande um 14.20 Uhr am JFK und habe nach Dienstschluss eine Überraschung für dich. T
Was für eine???? Happy landing! xoxo Zoe
Eine große Überraschung! 3.600 square feet!
Fakten, Fakten, Fakten bitte!
Wir schauen uns heute Abend ein Loft in SoHo an. Wooster Street. Möchtest du nicht eventuell aus deinem IKEA-Showroom in Brooklyn wieder ausziehen?
Und etwa bei dir einziehen?
Exactly! Schau dir mal das Loft Nr. 1524830 bei Corcoran an.
Zoe war etwas benommen, als sie die Listennummer auf der Webseite des Immobilienmaklers eintippte. Was für eine wirklich gelungene Überraschung sprach. Ich ziehe mit Tom zusammen, dachte sie. Ziehe ich mit Tom zusammen? Will ich mit Tom zusammenziehen? Ist es eine gute Idee, mit Tom zusammenzuziehen? Ihr letzter Versuch der Wohnungsteilung mit einem Exemplar des anderen Geschlechtes hatte immerhin darin geendet, dass sie ein Pfund Kressesamen auf einem sündhaft teuren Teppich ausgesät und gut gewässert hatte – bevor sie auf einen anderen Kontinent gezogen war.
Auf dem Bildschirm materialisierte sich ein Loft mit drei Schlafzimmern, zwei Badezimmern, sechs fast schon obszön großen Bogenfenstern sowie vier Meter hohen Decken mit Original-Zink-Fliesen daran. Die Bude war das Ästhetischste, was Zoe je gesehen hatte. Sie kostete allerdings auch 15.000 Dollar Miete im Monat.
Atemberaubend! Aber nicht ganz meine Geldbeutelgröße!
Wer sagt denn, dass du Miete zahlen musst? Ich hol dich später ab!
*
Am selben Abend, drei Wochen vor Weihnachten, verließen Tom und Zoe gemeinsam das Chrysler Building. Es war außergewöhnlich warm für Dezember in New York, vielleicht zwölf oder dreizehn Grad, und es fing an zu regnen. Nicht nieselnd-konstant wie in Deutschland, sondern mit aggressiven, dicken Tropfen. Jeder, der in New York schon einmal ein Gewitter erlebt hatte, wusste, dass es jetzt noch maximal fünf Minuten bis zum Weltuntergang waren. Bis kein Schirm mehr Schutz bot vor den Sturmböen, die durch die Fluchten der Wolkenkratzer rauschen würden. Bis die städtische Kanalisation kapitulierte, sodass die überlaufenden Gullys die
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