New York - Love Story
Besenkammer.
Mein Atem geht stoßweise, als ich die Zimmertür hinter mir
schließe und mich gegen den Kleiderschrank lehne. Glück
gehabt!
Als mein Herzschlag normale Geschwindigkeit erreicht
hat, fällt mir mein Gespräch mit Maja wieder ein. Irgendwie
kam sie mir komisch vor. Aber vielleicht lag das auch nur am
Chatten …
Shoppen oder Simon suchen? Shoppen oder Simon suchen? Was für ein Luxusproblem nach einer knappen Woche,
in der ich kaum eine freie Minute hatte. An diesem Samstagvormittag
hat Madeleine beschlossen, Gwyn und Gwen zu
einer Ausstellung im Guggenheim Museum mitzunehmen.
Und ich habe frei!
Natürlich hat eigentlich die Suche nach Simon höchste Priorität.
Aber leider ist der Inhalt meines roten Koffers wenig
kompatibel mit dem New Yorker Sommerwetter. Anhaltende
vierzig Grad im Schatten mit gefühlten neunundneunzig Prozent
Luftfeuchtigkeit vertragen sich schlecht mit einer Auswahl
verschiedener langer Jeans. Ein Sommerkleid besitze ich
nicht und meine einzigen Shorts hatte ich schon in der vergangenen
Woche die meiste Zeit an.
Mein Blick wandert zwischen den beiden Listen hin und
her, die Maja mir geschickt und die ich heimlich ausgedruckt
habe: Shopping-Tipps auf der einen, Clubs auf der anderen.
Als ich meinen Reiseführer rauskrame und die verschiedenen
Adressen im Stadtplan suche, stelle ich fest: Die meisten
davon – sowohl Geschäfte als auch Clubs – befinden sich
Downtown in Stadtteilen wie Soho, Greenwich und East Village.
Das macht es mir leichter: erst shoppen, dann Simon
suchen.
Im Reiseführer entdecke ich auch eine Subway-Map und
so fühle ich mich für mein Abenteuer ausreichend gerüstet.
Der Reiseführer verschwindet zusammen mit einer kleinen
Wasserflasche aus dem Vorratsschrank in der Küche in
meinem Rucksack und los geht’s.
Die typischen dunkelgrün gestrichenen Treppengeländer
mit den runden Laternen sehe ich schon von Weitem, als ich
mich der Station nähere. Grüne Linie, Nummer 6 bete ich
mir vor und steige die Treppen hinunter. An einem Fahrkartenautomaten
löse ich ein Ticket, das ich anschließend durch
das Lesegerät an der Einlassschranke ziehe. Links und rechts
von mir eilen zwei Männer in Anzügen durch identische Metalltore
und verschwinden zügig Richtung Bahnsteig. Ich orientiere
mich: Downtown, da geht es lang!
Mit lautem Rumpeln fährt die Bahn, ein silberner Kasten,
ein, die Türen gleiten auf, die beiden Anzugträger drängen
vor mir hinein, dann ich. Zum Glück ist das Abteil nicht
überfüllt, gleich neben der Tür ist ein orangefarbener Hartplastik-
Schalensitz frei.
»Stand clear of the closing doors«, ertönt eine sonore
Männerstimme und die Türen schließen sich scheppernd.
Rüttelnd setzt sich die Subway in Bewegung.
Verstohlen sehe ich mich um. Die Fahrgäste geben eine
bunte Mischung ab: Direkt neben mir stehen die Anzugträger,
klammern sich an einer Haltestange fest und diskutieren
leise. Mir gegenüber sitzt eine schwarze Frau in einem Kleid
mit braunen Ethnomustern, die sperrigen Locken zu einer
wilden Frisur hochgesteckt. Der kleine Junge neben ihr kaut
gelangweilt Kaugummi und produziert Blasen, die ihm auf
der Nase zerplatzen. Zwei Sitze weiter versteckt sich ein Rothaariger
hinter einer kunstvoll längs gefalteten Ausgabe der
New York Times
. Die Touristen sind unschwer an den Kameras,
den Rucksäcken und den Reiseführern in ihren Händen
zu erkennen.
Ob ich auch so auffällig aussehe?
In einem Impuls ziehe ich meinen Skizzenblock aus meinem
Rucksack und krame nach einem dicken Bleistift. Als
ich die erste Seite aufschlage, zieht sich mein Herz schmerzhaft
zusammen. Denn vom obersten Blatt grinst mich Simon
cool an. Ich blättere weiter. Simon, Simon, Simon. Herrje,
wie viele Porträts habe ich in den vergangenen Monaten von
ihm gezeichnet? Da, mein Lieblingsbild: Simon schaut mich
nicht direkt an, sondern hat seine Augen konzentriert in die
Ferne gerichtet – auf den Fernseher, um genau zu sein, denn
da lief eine Fußballübertragung. Ich mag das Bild so gern,
weil Simon darauf völlig entspannt aussieht, sonst fing er
immer gleich an zu posen, wenn ich den Block auspackte.
Ach, Simon! Ich blättere weiter, bis ich schließlich ein leeres
Blatt finde.
Seit meiner Ankunft in New York vor einer knappen Woche
hatte ich keinen Zeichenstift mehr in der Hand, und als ich
die ersten Striche zu Papier bringe, spüre ich, wie sich meine
Schultern augenblicklich entspannen. Mein Kopf wird leichter.
Ich konzentriere mich nur
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