New York - Love Story
auf den Stift in meiner Hand,
der über die leere Fläche eilt. Nach wenigen Minuten habe
ich die Afroamerikanerin porträtiert. Ich will mich gerade an
den Jungen machen, als die Bahn erneut stoppt und die beiden
aussteigen. Schade! Auf ihre Plätze setzen sich zwei alte
Frauen mit geblümten Kopftüchern und verrunzelten Gesichtern.
Auch sie geben gute Modelle ab.
Ich bin so versunken ins Zeichnen, dass ich die Haltestelle
Spring Street
beinah verpasse. Schnell schnappe ich mir meinen
Rucksack und hechte durch die Türen, die sich bereits
schließen. Ich steige die Treppen mit dem grün gestrichenen
Geländer hoch. Wieder brauche ich einige Minuten, bis ich
mich orientiert habe.
Ich weiß, wo ich hinwill: zum Hollister Store! (Der stand
ganz oben auf Majas Shopping-Liste und klingt für mich
spannender als H&M oder GAP.) Leider hab ich keinen blassen
Schimmer, in welche Richtung ich mich wenden muss.
Unschlüssig stehe ich mit dem Stadtplan in der Hand da,
drehe und wende ihn hin und her.
»Can I help you?« Ein Typ, Mitte zwanzig, mit Dreadlocks
und Lederweste, ist mitten im Passantengedränge neben mir
stehen geblieben und mustert mich neugierig, aber freundlich.
»Äh, Hollister?«, bringe ich heraus, erstaunt, dass sich im
hektischen New York jemand die Zeit nimmt, verlorenen
Touristen den Weg zu weisen.
»That way.« Der Typ winkt mit der Hand in die richtige
Richtung. »Du kannst es kaum verfehlen.«
»Thanks«, stottere ich, er lächelt mir zu und treibt weiter
im Menschenstrom.
Als ich nach kurzer Zeit an einem Starbucks vorbeikomme,
beschließe ich, erst mal eine Frühstückspause einzulegen.
Seit einer Woche ernähre ich mich morgens von Frischkornbrei
und Tee – ich brauche endlich mal etwas Anständiges.
Ich ordere einen
Venti Latte
to go mit einem Extrashot Espresso
und einen Schokomuffin. Zufrieden suche ich mir
einen Platz in der Nähe des Fensters. Ein großer Bissen von
dem Muffin, drei Schlucke Kaffee. Langsam fühle ich mich
wieder wie ein Mensch!
Während ich mein Frühstück mit Genuss verzehre, fühle
ich mich wie in der ersten Reihe bei der New York Fashion
Week. Auf dem Bürgersteig vor meinem Fenster flanieren die
New Yorker in Outfits entlang, die es problemlos auf jeden
Laufsteg schaffen würden: weite Taillenhosen, kombiniert
mit mörderisch hohen Gittersandalen, langes Blumenkleid
mit Fellweste, Romantiklook zu Leopardenwedges und überall
riesige Sonnenbrillen, coole Hüte und lässige Taschen.
Wow! Ich glaube, ich muss wirklich etwas für meine Garderobe
tun.
Mit einem Kaffeerest im Becher mache ich mich wieder
auf den Weg. Damit habe ich zumindest schon ein Trendaccessoire:
Jeder Zweite kommt mir ebenfalls mit einem Kaffeebecher
in der Hand entgegen.
Der Fußmarsch ist länger, als ich erwartet hätte. Aber der
Dreadlock-Typ hatte recht: Zu verfehlen ist der Laden nicht.
Schon von Weitem rieche ich einen intensiven Duft nach
Parfüm. Die müssen das nach draußen auf die Straße sprühen!
Über die gesamte Seite des weißen Altbaus zieht sich das
Logo und vor der Tür hat sich eine kleine Schlange kauflustiger
Touristen gebildet.
»Welcome to Hollister«, begrüßt mich der Türsteher, der
wie sein Kumpel nichts als knallrote, knielange Shorts trägt
und seinen muskelbepackten und gebräunten Oberkörper
zur Schau stellt. Auch zwei weibliche Strandschönheiten bewachen
den Eingang in knappen Bikinihöschen und geknoteten
Blusen. Denen wird bei dem Wetter wenigstens nicht
zu warm!
Im Inneren des Ladens ist es durch die Klimaanlage um
mindestens zwanzig Grad kühler und gerappelt voll. Basslastige
Musik vermischt mit Meeresrauschen dröhnt mir entgegen,
dazu der gleiche Duft nach irgendwelchen exotischen
Blumen, den ich schon auf der Straße wahrgenommen habe.
Nur ist er hier viel intensiver. Außerdem ist es dunkel. Die
überdimensionalen Kronleuchter verbreiten gerade so viel
Licht, dass man nicht gegen die Tische mit den Jeans, Röcken
und Kapuzenpullis stößt.
Cool ist der Laden, da muss ich Maja zustimmen. Aber
wie soll ich bei den Lichtverhältnissen herausfinden, ob mir
die Klamotten überhaupt stehen? Andererseits bin ich kein
großer Fan von Umkleidekabinen, meine dünnen Käsebeine
sehen im gnadenlosen Neonlicht nicht unbedingt vorteilhaft
aus. Der Hollister Store gefällt mir jedenfalls immer besser.
Ich greife mir ein Paar kurze Jeans von einem der Tische und
lege übermütig noch einen hellblauen Mini-Rock mit weißen
Punkten obendrauf. Billig sind die
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