New York - Love Story
gehen? Die Mahagonimöbel im Arbeitszimmer müssten
dringend poliert werden.«
Mein Postfach quillt über. Knapp dreißig neue Mails, das meiste davon Spam. Ein paar Urlaubsgrüße von Leuten aus
meiner Klasse. Aber keine einzige Mail von Simon, wie ich deprimiert
feststelle. Drei Nachrichten sind von meiner Mutter.
Sie und Pedro sind gut in Italien angekommen, es ist idyllisch
wie immer, in der Pension
Clara
gibt es mittlerweile WLAN,
und ob ich nicht Lust hätte, mit ihr zu skypen?
Nein danke!
Mom ist im Augenblick die Letzte, mit der ich mich unterhalten
möchte. Immerhin ist sie schuld an dieser Katastrophe, in
der ich mich befinde.
Außerdem hat Madeleine mich nur mal schnell an den
Computer im Arbeitszimmer gelassen, damit ich meiner
Mutter ein Lebenszeichen schicken kann, wie sie sagt. Nach
drei Tagen! Sie wäre sicher nicht begeistert, wenn ich mich
hier stundenlang aufhalten würde.
Also tippe ich eilig »Alles okay, Grüße Niki« in die Tasten,
wobei meine Finger über die amerikanische Tastatur stolpern.
Jetzt zu Majas Mails. Es sind zehn, aber der Inhalt ist mehr
oder weniger identisch:
Niki, geht es dir gut? Meld dich! Wo
steckst du? Alles in Ordnung? Lass bald von dir hören.
Kein Wunder, dass meine beste Freundin sich inzwischen
Sorgen macht, normalerweise sehen wir uns jeden Tag, und
wenn wir gerade nichts zusammen unternehmen, telefonieren
wir oder chatten miteinander.
Ach, Maja.
Ich vermisse
sie so! Ich wische mir eine lästige Träne von der Wange und
schreibe los.
Liebe Maja,
sorry, dass ich mich jetzt erst melde. Ich hatte die letzten drei
Tage so viel zu tun, dass ich nicht dazu gekommen bin. Ehrlich
gesagt, hatte ich nicht mal die Gelegenheit, denn mein Handy
funktioniert hier nicht und meine Gastmutter Madeleine hat mich
direkt so eingespannt, dass ich keine Zeit hatte, mal kurz in ein
Internetcafé zu verschwinden. Maja, es ist schrecklich hier!
Das Appartement ist purer Luxus, aber viel mehr als den Panorama-
Ausblick habe ich von New York noch nicht gesehen. Madeleine
tut supernett, aber sie würde jedem Sklaventreiber Konkurrenz
machen. Am ersten Tag musste ich Möbel polieren, gestern
hat sie mich mit der Limousine zur Reinigung geschickt, um ein
Kleid abzuholen, auf dem Rückweg sollte ich dann noch schnell
ein paar Besorgungen in einem Delikatessen-Laden machen – ich
wusste nicht einmal, was das für ein Zeug war, das auf dem Einkaufszettel
stand.
Und das alles neben meinem Job als Babysitter für die beiden
kleinen Ungeheuer.
Die Zwillinge sind grauenhaft. Meistens ignorieren sie mich und
tuscheln ständig miteinander, sie tun niemals, was ich ihnen
sage, und wenn sie mich ärgern wollen, dann geben sie mir irgendwelche
Spitznamen, die ich nicht verstehe, und lachen sich
kaputt, weil ich ihre Geheimsprache nicht kenne. Keine Ahnung,
ob sie überhaupt Englisch sprechen oder sich die Wörter ausgedacht
haben.
Obwohl sie Ferien haben, müssen Gwyn und Gwen jeden Tag zum
Unterricht: Geige, Chinesisch, Ballett … Sie tanzen übrigens
schon richtig gut, das muss man ihnen lassen. Und ich muss
immer mit, aufpassen, dass sie ihren Kram dabeihaben, dass sie
pünktlich sind und dass sie sich gut benehmen. Als ob die beiden
auf mich hören würden!
Das Allerschlimmste ist aber, dass ich bisher noch keine Sekunde
Zeit hatte, um mich auf die Suche nach Simon zu machen!
Abends liege ich stundenlang wach (blöde Zeitverschiebung!) und
grübele, wie ich ihn finden soll. Aber irgendwie hatte ich mir das
leichter vorgestellt. Diese Stadt ist riesig! Er könnte überall sein.
Ich schätze, ich habe mir das alles im Voraus nicht ausreichend
gut überlegt. Maja, er fehlt mir so!!! Und du natürlich auch!
»Nicole?« Madeleine erscheint im Türrahmen. »Bist du so
weit?«
Sie trägt das dunkelrote Kleid, das ich gestern aus der Reinigung
geholt habe, dazu goldene Sandaletten mit einem Absatz,
bei dessen bloßem Anblick mir die Knöchel wehtun.
»Ich muss jetzt los.«
»Sofort.« Ich hacke noch schnell ein paar Wörter in die Tasten
–
Depri-Grüße, XOXO, Niki
– und drücke auf Senden. Madeleine
kommt in einer Duftwolke zum Schreibtisch und fährt
den Rechner runter. Gut, dass ich ihr vorhin auf die Finger
schauen konnte, als sie das Passwort eingegeben hat. Vielleicht
finde ich ja später eine Gelegenheit, mich noch mal ins
Arbeitszimmer zu schleichen.
»Beeil dich bitte, Mr Carter wartet schon im Wagen auf
mich.«
Ich rutsche an ihr vorbei, um möglichst schnell ins Kinderzimmer
zu
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