New York - MERIAN Portraet
Fisher Hall
3 ( ▶ K 3 ) ) umziehen.
Hinter der Bühne versuchen an jenem Sonntag auch Leonards Eltern durch die Reporter und Fotografen zu ihrem Sohn durchzudringen, um ihm zu gratulieren. Für den jungen Dirigenten ist dies vielleicht der größte Triumph. »Jeder Musiker hat ein Handicap, Lenny hat einen Vater.« Dieser Ausspruch von
Sam Bernstein
einem Reporter gegenüber charakterisiert das angespannte Verhältnis des ostjüdischen Rabbis zu seinem Sohn. Sam ist als 16 -Jähriger aus der Ukraine nach Amerika emigriert und hält mehr von den heiligen Texten des Talmuds als von der brotlosen Kunst eines »Klezmers«, wie der typische jüdische Musikant im »Schtetl« heißt.
EIGENTLICH HEISST ER JA LOUIS
Schon als Kind ist Lenny verrückt nach Musik. Die Eltern haben ihn auf den Namen Louis getauft, nach dem Willen der Großmutter, nennen ihn aber nie so. Als Lenny in der Schule als Louis Bernstein aufgerufen wird, schaut er sich ratlos um. Wer ist denn das? Vielleicht, so mutmaßt Bernstein später scherzhaft, habe diese Verwirrung den Grundstein zu seiner »Schizophrenie« gelegt: seinem Hin- und Hergerissensein zwischen der Klassik und dem Musical, zwischen Komponieren und Dirigieren, zwischen Frauen und Männern.
»Von Anfang an ist er etwas Besonderes, asthmatisch, sensibel, intelligent. Er hinterließ auf jeden einen bleibenden Eindruck, entweder wegen seines ständigen Keuchens oder wegen seiner unübersehbaren Frühreife« ,schreibt später sein Bruder
Burton
. »Der kränkliche Lenny war brillant – immer der Beste in der Schule und der Anführer der Gang.« Im Alter von fünf Jahren spielt er auf einem imaginären Klavier auf dem Fensterbrett. Später gründet er mit einem Freund einen eigenen Staat mit eigener Sprache. Leonard Bernstein selbst erinnert sich vor allem an seine Angst vor der antisemitischen Nachbarschaft. Die Musik wird seine Rettung, seine lebenslange, große Leidenschaft. »Plötzlich fand ich meine eigene Welt. Ich wurde innerlich stark … Es veränderte mein Leben. Das Geheimnis ist, dass ich ein Universum fand, in dem ich sicher war: die Musik. Niemand konnte mir etwas anhaben, wenn ich in meiner Welt der Musik war.«
Als 12 -Jähriger gründet er eine Band und verdient sich das Geld für den Klavierunterricht. Mit 16 fängt er an zu komponieren und zieht durch die Jazzclubs. In
Harvard
studiert er Sprachen, Philosophie und Musik, dann setzt er seine Musikausbildung in
Philadelphia
und
Tanglewood
fort. Wo auch immer er hinkommt, fasziniert er mit seinem hinreißenden Charme, seinem Temperament und seiner unwiderstehlichen, fast aggressiven Lebenslust vor allem auch junge Menschen. »Lenny spielt nicht Klavier – he makes love to it all the time« , sagt seine Mutter
Jennie
.
New York, den 6 . Januar 1949 : »Heute hat Jerry R. angerufen mit einer wunderbaren Idee: einer modernen Version von Romeo und Julia, angesiedelt in den Slums von New York, zwischen verfeindeten jüdischen und katholischen Jugendgangs. Julia ist eine Jüdin … Straßenkämpfe, Doppeltod. Alles passt. Aber die größte Herausforderung wird sein, diese tragische Geschichte mit den Mittel des herkömmlichen komödiantischen Musicals zu erzählen, ohne dabei ins Drama einer Oper abzugleiten. Geht das überhaupt? So etwas hat es bisher noch nie gegeben. Ich bin aufgeregt …«
Als Bernstein diese Sätze in sein Tagebuch notiert, ist er bereits Chefdirigent in New York. Er hat ein erfolgreiches Ballettstück und ein ebenso gefeiertes Broadway-Musical komponiert und in
Israel
sein erstes Konzert gegeben, was ihn wegen seiner jüdischen Wurzeln besonders bewegt hat.
Seit dem Anruf vom Broadway-Choreografen
Jerome Robbins
ist er Feuer und Flamme für die Idee, das Liebesdrama von Romeo und Julia in den Slums von New York zu inszenieren. Anfangs soll das Musical in der
East Side
spielen, wo sich Katholiken und Juden Bandenkriege liefern. Doch weil Bernstein unermüdlich unterwegs ist, um überall auf der Welt Konzerte zu geben und Platten aufzunehmen, wird es acht Jahre bis zur Premiere dauern. Inzwischen haben sich die sozialen Brennpunkte auf die
West Side
verlagert, wo sich amerikanische Jugendgangs, die »Jets«, mit eingewanderten Puerto Ricanern, den »Sharks«, prügeln. So wird das Musical in »West Side Story« umgetauft und dort angesiedelt, wo später das
Lincoln Center
( ▶ K 3 ) gebaut wird.
Später, 1957 , schreibt Bernstein in sein Tagebuch: »Gestern Proben. Wunderschöne Skizzen für das
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