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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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zerknittern oder seine Perücke zu inkommodieren, drehte den Kopf hin und her, als könne er nicht glauben, was er da gehört hatte. «Sagtet Ihr ermordet, Sir?»
    «Das sagte ich, Mylord.»
    «So ein Unsinn, Doktor. Der Mann hat sich erhängt.»
    «Nein, Mylord, er wurde ermordet», wiederholte mein Herr.
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    «Wie, Sir? Ihr widersprecht mir?»
    «Es wurde so inszeniert, als ob er sich erhängt hätte, von den Tätern, welche ich bald zu ergreifen hoffe.»
    «Euer Spiel kenne ich, Sir», sagte Lord Lucas höhnisch. «Ihr gefallt Euch darin, Menschen das Gegenteil dessen glauben zu machen, was ihnen ihre eigenen Augen und Ohren sagen. Wie mit Eurer Theorie der Gravitation. Diese kann ich auch nicht sehen, Sir. Und ich sage Euch geradeheraus, ich glaube auch nicht daran, Sir.»
    «Dann frage ich mich, wie es kommt, dass Ihr nicht in den Himmel entschwebt», bemerkte Newton. «Ich kann mir nicht denken, was Euch sonst hier festhalten sollte, Mylord.»
    «Ich habe weder die Zeit noch die Geduld für Eure vermaledeite Royal-Society-Sophisterei.»
    «Das immerhin ist evident.»
    «Nun, Ihr mögt denken, was Ihr wollt, Newton. Wenn er hier im Tower begraben wird und es sieht ganz so aus, weil seine Familie die Schande nicht auf sich nehmen will, dann mit dem Gesicht nach unten und von Norden nach Süden.» Lord Lucas öffnete seine Schnupftabakdose und rieb sich eine großzügige Prise in die hochmütige Nase, was sein Missfallen an unserer Gesellschaft jedoch auch nicht milderte.
    «Dann werde ich, um des Majors willen, beweisen, dass Ihr Euch irrt, Mylord.»
    «Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen», sagte Lucas.
    «Merkt Euch das, Gentlemen.» Und unter schallendem Niesen und einer Kette von Flüchen trat er die Tür auf und stapfte aus unserer Amtsstube.
    Newton gähnte und streckte sich wie eine Katze. «Ich glaube, ich muss ein wenig Luft schnappen», sagte er. «In Gegenwart Seiner Lordschaft fühle ich mich immer wie eine Kerze, welche unter Mister Boyles Glasglocke brennt und mangels Luft gleich
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    verlöschen wird. Außerdem habe ich mich die ganze Nacht nicht von diesem Stuhl gerührt. Was haltet Ihr davon, dass wir einen Ausflug zum Strand machen und Mister Scroope einen Besuch abstatten?»
    «Ich glaube, das würde Euch gut tun, Sir», erwiderte ich. «Ihr seid zu viel im Haus.»
    Newton hörte auf, Melchior unterm Kinn zu kraulen, sah aus dem Fenster und nickte. «Ja. Ihr habt Recht. Ich bin zu viel drinnen. Ich sollte mich mehr im Licht aufhalten. Obwohl ich von der Sonne noch nicht viel verstehe, denke ich doch manchmal, dass ihre Strahlen alle Lebewesen mit einem unsichtbaren Licht nähren. Ich bezweifle nicht, dass dieses Licht eines Tages sichtbar gemacht werden wird, so wie ich das Farbspektrum sichtbar gemacht habe und dann werden wir beginnen, alles zu erkennen. Wer weiß, vielleicht erkennen wir sogar das immanente Wesen Gottes.»
    Newton stand auf und nahm Hut und Mantel.
    «Doch für den Moment lasst uns einfach nur hoffen, dass wir erkennen, was in Mister Scroopes Kopf vor sich geht.»
    Wir gingen zu Fuß zum Strand und unterwegs umriss Newton seinen Plan genauer.
    «Als Gold- und Silberschmied ist Mister Scroope gesetzlich verpflichtet, Buch über seine Edelmetallvorräte zu führen», erklärte er. «Denn es ist sehr wichtig, dass das Schatzamt weiß, wie viel Gold und Silber sich im Land befinden. Ich werde behaupten, die Münze sei ermächtigt, Mister Scroopes Bücher zu prüfen. Ich werde ihm sagen, ich hätte mich der Sache persönlich angenommen, um die Ungelegenheiten für sein Geschäft so gering wie möglich zu halten. Wenn ich ihm erkläre, dass solche Kontrollen oft einen ganzen Tag dauern, ich aber die meine binnen einer Stunde beendet zu haben gedenke, wird er wohl nur zu gern mit uns kooperieren. Und während er damit beschäftigt ist, mich zufrieden zu stellen, werdet Ihr
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    Gelegenheit finden, Euch zu entfernen, vielleicht um den Nachtstuhl zu benutzen und unterdes seine Bibliothek daraufhin inspizieren, ob dort das Buch des Trithemius steht.»
    «Ist an dem Ganzen irgendetwas wahr?», fragte ich.
    «An der Sache mit den Befugnissen der Münze? Leider nicht.
    Aber es sollte so sein. Denn wir sind die meiste Zeit gezwungen, uns unsere Befugnisse selbst zurechtzulegen. Natürlich könnte ich als Friedensrichter leicht eine spezielle Vollmacht erhalten, seine Bücher einzusehen. Aber das hätte nicht den rechten Effekt, denn es muss so aussehen, als sei unser

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