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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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größten Buchbinderpresse, die ich je woanders als in einer Buchhandlung gesehen hatte. Aber ich hatte keine Zeit, mich darüber zu wundern, sondern trat rasch an die Regale, um Mister Scroopes Bücher zu inspizieren und da sie sich als alphabetisch geordnet erwiesen, hatte ich schnell ein Exemplar der Polygraphia des Trithemius gefunden. Ich nahm das Buch aus dem Regal, in der Hoffnung, dass Mister Macey es vielleicht mit einer Widmung versehen hätte, aber da war nichts und als ich es zurückstellte, kam mir die Idee, mir noch einige der übrigen Bücher anzusehen. Da nicht wenige davon alchemistischer Art waren, verließ ich den Raum in dem Gefühl, dass Newtons
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    Verdacht richtig war: dass Scroope tatsächlich etwas mit den schrecklichen Tower-Morden zu tun hatte.
    Da nun machte ich eine überaus glückliche Entdeckung. Beim Verlassen der Bibliothek schlug ich die falsche Richtung ein und fand mich plötzlich an der Tür zu einem Hof, welcher an drei Seiten von einstöckigen Werkstattgebäuden umgeben war, jedes mit einem hohen Kamin, den man von der Straße aus nicht sah.
    Ich durchquerte den Hof und betrat eins dieser Werkstattgebäude, welches ganz ähnlich ausgestattet war wie die Gießerei im Tower, mit einem offenen Schmelzofen und verschiedensten Schmiedewerkzeugen. Woran natürlich nichts Verwunderliches war, denn Mister Scroope war schließlich Goldschmied. Interessant war nur, was Mister Scroope hier schmiedete, denn ich sah überall zinnerne Teller, Kannen und Trinkkrüge nebst den Gussformen, mit denen sie hergestellt worden waren und zwar erst unlängst, denn einige der Produkte waren noch warm. Andere lagen bereits in Packkisten, welche mit der offiziellen Exportlizenz des Flottenamts versehen waren.
    Zuerst kam es mir seltsam vor, dass Scroope dem Flottenamt Zinngeschirr lieferte, aber dann fiel mir ein, dass ja viele Schmiede als treue Patrioten alle möglichen Dinge für unsere Truppen in Flandern herstellten und dass die Soldaten Teller und Trinkkrüge für den Verzehr ihrer Rationen zweifellos ebenso dringend brauchten wie Kanonen und Munition.
    Ich wollte die Werkstatt gerade wieder verlassen, als mein Blick auf ein paar leere, aus den Beständen der Münze stammende Geldsäcke fiel, welche auf dem gepflasterten Boden lagen.
    Diese Säcke wurden, mit Silbergeld gefüllt, in der Münze verkauft und die Verbreitung der Münzen in der Bevölkerung blieb dem Zufall überlassen, da es keine öffentlichen Ausgabestellen gab, was, wie jeder Engländer wusste, ein großes Manko der Münzerneuerung war. Die seltsame Kombination dieser Dinge, der leeren Geldsäcke und des Zinngeschirrs war es, die in mir den Verdacht weckte, dass es
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    hier nicht mit rechten Dingen zuging und als ich einen der Zinnteller genauer inspizierte und mit der Degenspitze an der Oberfläche kratzte, entdeckte ich prompt, dass das Zinn nur Patina war. Denn dieses Tafelgeschirr war gar nicht aus Zinn, sondern aus massivem Silber, gegossen aus den eingeschmolzenen Münzen, die herzustellen sich in der Münze alle so plagten. Was Scroope hier offensichtlich tat, untergrub nicht nur die Münzerneuerung und damit das Königreich, von König Williams Flandernfeldzug ganz zu schweigen, denn ohne gutes Geld konnten seine Truppen keinen Sold erhalten, nein, er machte auch noch Profit, indem er die Münzen einschmolz und über den Kanal nach Frankreich schmuggelte, wo das Silber einen höheren Preis erzielte als in England. Und mehr noch, der Nennwert der neuen Münzen lag unter dem Silberwert. Also war Scroopes schändliche Kalkulation klar: Er kaufte das Pfund Silber für sechzig Schillinge, um es in Frankreich für fünfundsiebzig zu verkaufen.
    Das war ein Gewinn von fünfundzwanzig Prozent. Nicht viel vielleicht, aber wenn es bei diesen Machenschaften in erster Linie nicht um den Profit ging, sondern um den Nutzen für den französischen König, dann war klar, dass sich dieser verräterische Akt wirtschaftlicher Sabotage als solcher bezahlt machen konnte.
    Ich kehrte wieder ins Kabinett zurück und stellte fest, dass Newton Scroope noch immer höchst intensiv befragte, sodass meine Abwesenheit offenbar überhaupt nicht aufgefallen war und wenig später konnte ich meinem Herrn mit einem Kopfnicken bedeuten, dass meine Mission erfüllt war. Worauf Newton sich mit Scroopes Büchern zufrieden erklärte und sich, unter überschwänglichem Dank für das Silbergeschenk an ihr altes College, verabschiedete.
    Wieder draußen,

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