Newtons Schatten
seien seine Worte auch auf mich gemünzt.
«Denn ich halte es für besser, in einem Land zu leben, wo törichte Menschen durch den weiseren Rat der Älteren aus ihrer Torheit herausgeführt werden können, als dass dies durch Folter und Hinrichtung geschähe, wie es in weniger glücklichen Ländern wie Frankreich noch immer der Fall ist.»
«Stimmt es», fragte Lord Harley, «dass Ihr, Doktor Newton, Mister Defoe ins Gefängnis habt werfen lassen?»
«Mylord, was sonst hätte ich mit einem Mann machen sollen, den ich dabei überraschte, wie er heimlich in der Amtsstube der Münze herumschnüffelte, wo so viele geheime oder heikle Dokumente lagern, welche die Münzerneuerung betreffen?»
«Ist das wahr, Sir?», fragte Lord Harley jetzt Defoe. «Wurdet Ihr in der Amtsstube der Münze ergriffen?»
«Ich wurde dort ergriffen, das stimmt», sagte Defoe. «Aber ich habe nicht herumgeschnüffelt.»
«Was wolltet Ihr dann in der Amtsstube der Münze?», fragte Lord Halifax. «Wart Ihr nicht dort, während Doktor Newton und sein Gehilfe abwesend waren?»
«Ich wusste nicht, dass sie abwesend waren. Ich wollte dem Münzwart Informationen über gewisse Falschmünzer zutragen.»
«Die Amtsstube ist abgeschlossen, wenn mein Gehilfe und ich
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nicht dort sind», sagte Newton. «Ich habe Mister Defoe nicht eingelassen. Und me in Gehilfe auch nicht. Außerdem waren seine so genannten Informationen nichts als eine Lüge, mit welcher er seinen unbefugten Aufenthalt in unserer Amtsstube zu erklären suchte. Kann Mister Defoe denn jetzt und hier unter Eid einen dieser Falschmünzer beschuldigen, deren Namen er mir nennen wollte?»
«Ich kenne keine Namen», sagte Defoe. «Ich habe nur den einen oder anderen Verdacht.»
«Den einen oder anderen Verdacht», wiederholte Newton. «Den habe ich auch, Mister Defoe. Glaubt nicht, Ihr könntet Ihre Lordschaften täuschen, so wie Ihr mich zu täuschen versuchtet, Sir.»
«Ihr seid hier der Lügner, Sir, nicht ich», insistierte Defoe, der jetzt seine Trumpfkarte ausspielte. «Seid Ihr bereit, hier vor Ihren Lordschaften nach der Testakte zu verfahren, um zu beweisen, dass Ihr ein guter Anglikaner seid?»
Die Testakte von 1673 verfügte, dass ein auf seine Rechtgläubigkeit zu prüfender Mann, gewöhnlich der Inhaber eines öffentlichen Amtes, das Abendmahl nach dem Ritus der anglikanischen Kirche empfangen solle, was der Anti- Trinitarier Newton gewiss nie tun würde und einen Moment lang glaubte ich schon alles verloren. Doch Newton seufzte tief und senkte den Kopf.
«Ich werde alles tun, was Ihre Lordschaften von mir verlangen», sagte er. «Selbst wenn das hieße, einem Manne nachzugeben, der wegen Bankrotts im Gefängnis saß und selbst ein Dissenter ist.»
«Stimmt das, Mister Defoe?», fragte Lord Halifax. «Dass Ihr ein Bankrotteur seid?»
«Das stimmt, Mylord.»
«Und seid Ihr selbst bereit, nach der Testakte zu verfahren?», hakte Lord Halifax nach.
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«Doktor Newton spielt ein leichtherziges Spiel mit dem Glauben und Guckguck mit dem Allmächtigen», erklärte Defoe und ließ dann den Kopf hängen. «Aber bei meinem Gewissen, nein, Mylord, das kann ich nicht.»
Als die Lordrichter diese philisterhafte und gehässige Seite Mister Defoes erkannten, entließen sie ihn mit der Warnung, künftig vorsichtiger zu sein, wen er beschuldige. Und anschließend beantragte Lord Halifax, Lord Harley möge sich in ihrer aller Namen bei Newton dafür entschuldigen, dass man ihn den grundlosen Anschuldigungen so nichtswürdiger Halunken ausgesetzt habe. Lord Harley kam dem nach, fügte aber noch hinzu, dass Ihre Lordschaften diese Untersuchung nur im Interesse der Münze geführt hätten. Und damit war die Anhörung beendet.
Als wir wieder draußen waren, gratulierte ich Newton aufs Herzlichste und erklärte, dass ich ob dieses Ausgangs höchst erleichtert sei. «Es ist tatsächlich so, wie Aristoteles in seiner Poetik sagt», sagte ich. «Dass der Mythos die Seele der Tragödie ist. Denn dieser Mythos hätte leicht für die Wahrheit durchgehen und Euch Euer Amt kosten können. Wenn nicht Schlimmeres.»
«Dass es nicht so gekommen ist, verdankt sich nicht zuletzt Eurem Fleiß, denn Ihr habt all diese Dinge über Mister Defoe herausgefunden», sagte Newton. «Und es verdankt sich auch Mister Fatios Bemühen. Denn Fatio war es, der all seine Freunde auf dem Kontinent wegen des Grafen Gaetano anschrieb. Doch ich muss sagen, meine Feinde waren schlecht gerüstet. Wären sie
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