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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Münze.»
    «Ach?»
    «Wenn Ihr den Vorgang der Münzherstellung erst besser kennt, werdet Ihr merken, dass der Münzwerker, der die Rohlinge in die Münzpresse einführt, überaus flinke Finger braucht. Es gibt kaum einen unter ihnen, der nicht ein oder mehrere Fingerglieder verloren hat. Ehe er Gehilfe des Münzwarts wurde, war Macey selbst Münzwerker. Diese Beobachtungen, im Verein mit der sachkundigen Schätzung des Schleppfischers, wie lange der Leichnam im Wasser lag und der Tatsache, dass bei dem Opfer zwei frisch geprägte Schillinge gefunden wurden, von genau der Art, wie ich sie den beiden Fischern gab, erzwingen den von mir gezogenen Schluss. Obwohl die Münzen so lange im Wasser gelegen hatten, war die Rändelung unverkennbar.»
    «Nun, ja, Sir, wenn es George Macey ist...»
    «Worauf Ihr Euc h verlassen könnt.»
    «Was ist dann mit seiner ewigen Ruhe in Christo? Hat er kein anständiges, christliches Begräbnis verdient? Was ist mit seiner Familie? Vielleicht hätten sie ja gern einen Grabstein, der an ihn erinnert? Seinen Tod einfach zu verschweigen wäre gewiss nicht recht.»
    «Ich kann mir nicht denken, dass es ihn groß kümmert. Ihr?» Er lächelte, als ob ihn mein Ausbruch amüsierte. «Ich glaube, es gab da eine Hure in Lambeth Marsh, die er gern besuchte. Aber ich glaube nicht, dass sie ein Begräbnis bezahlen möchte. Und
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    seine Ruhe in Christo, nun, die hängt doch wohl davon ab, ob er ein Christ war, oder nicht?»
    «Daran gibt es doch wohl keinen Zweifel», sagte ich. «Hat er denn nicht, wie ich, die Hand auf die Bibel gelegt und seinen Geheimhaltungsschwur geleistet?»
    «Oh, das mag schon sein. Was allerdings gar nichts beweist.
    Schließlich wurde die Bibel zum größten Teil von Männern geschrieben, die nichts von Jesus Christus wussten. Juden zumeist. Nein, die schlichte Wahrheit ist, dass Macey so wenig ein Christ war wie der Prophet Noah. Ich sagte ja schon, dass ich Macey nur ein- oder zweimal getroffen habe. Aber bei jeder dieser Gelegenheiten habe ich lange genug mit ihm geredet, um die wahre Natur seiner religiösen Überzeugungen in Erfahrung zu bringen. Er gehörte der arianischen Glaubensrichtung an, das heißt, er glaubte, dass Jesus Christus und Gott nicht von derselben Substanz sind, wenngleich unser Erlöser auch kein gewöhnlicher Mensch war. Also würde er ein christliches Begräbnis mit all seinen Eigentümlichkeiten wohl kaum gewollt haben.»
    «Aber das ist Ketzerei», sagte ich. «Oder nicht?»
    «In der Tat würden es viele Leute so sehen», murmelte Newton.
    «Aber Ihr solltet Euch mehr dafür interessieren, wo und warum Macey getötet wurde, als für das Schicksal seiner unsterblichen Seele. Denn es liegt auf der Hand, dass er im Tower ermordet wurde und zwar von Mitgliedern der Ordnance, die es äußerst eilig hatten, seinen Leichnam loszuwerden.»
    «Wie kommt Ihr darauf?», fragte ich.
    «Für den Moment möchte ich Euch nur bitten, Euch den Knoten zu vergegenwärtigen, der um die Füße des armen Macey geknüpft war. Recht gewöhnlich, Eurer Meinung nach. Aber in Wahrheit weit weniger gewöhnlich. Er wird gemacht, indem man zwei Partien des Seils in entgegengesetzte Richtungen schlingt und auf diese Weise zwei nebeneinander liegende Ösen
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    erhält, in welche man den Schaft eines Hakens einführen kann, sodass sich dann eine Schlinge oder ein Gewicht an den Haken hängen lässt. Dieser Knoten, der sich Katzenpfote nennt, wird verwendet, um einen Haken an ein Seil zu binden und ist äußerst vielseitig nutzbar, aber ich habe ihn kaum je außerhalb des Tower gesehen. Es gibt noch weitere Gründe, die mich zu der Annahme bringen, dass die Ordnance mit dem Mord zu tun hatte und wir werden dem nachgehen, sobald wir uns die Kehlen befeuchtet haben.»
    Das Stone Kitchen war ein Miniatur-Sündenbabel und es fehlte ihm nicht einmal eine eigene Hure, denn die Frau des Wirts war eine Dirne, welche die dort verkehrenden Münzer und Wachen dazu zu bringen wusste, mehr mit ihrem Geld anzufangen, als es nur zu vertrinken. Nicht selten sah man sie oder eine ihrer Freundinnen einen Burschen auf eine Drei-Penny-Stehpartie in einen dunklen Winkel des innersten Festungsteils schleppen und einmal sah ich dieses liederliche Weib sogar seine Ware hinter der Kapelle St. Peter ad Vincula an den Mann bringen. Ja, ich weiß das alles ganz sicher, denn ich bin, wie ich gestehen muss, selbst ein-, zweimal mit ihr und anderen mitgegangen.
    Tatsächlich gab es im Tower viele

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