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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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woran ich mich erinnern konnte und, wie mein Herr mir versicherte, der kälteste Januar seit 1683, da er im Haus geblieben war und seine Arithmetica universalis, sein grundlegendes Werk, geschrieben hatte. Ich versuchte dieses Werk zu lesen, aber es gelang mir nicht. Vielleicht verlangsamte die Kälte ja meine Geistestätigkeit, so wie sie die Münzherstellung verlangsamte.
    Das Geld war, trotz größter Anstrengungen der Münzwerker, immer noch knapp und obwohl alles von einem Frieden mit Frankreich sprach, kam nichts dergleichen zustande. Und währenddessen wurden immer noch mehr Jakobiter verhaftet und das ganze Land schien höchst instabil. Unterdes war der verstorbene Münzprüfer, James Hoare, durch Thomas Molyneux und Charles Mason ersetzt worden, von denen mein Herr sagte, sie seien beide korrupt und tatsächlich befehdeten sie sich binnen kurzem gegenseitig und erwiesen sich ansonsten als untüchtig.
    Ich erwähnte bereits, dass uns Newtons Spion Humphrey Hall die Information zutrug, ein paar Münzwerker hätten angeblich ein neues, perfektioniertes Verfahren zur Fälschung von Goldguineen entwickelt und diese Angelegenheit war es, die uns in das verwickelte, was den nächsten Teil meiner Geschichte
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    ausmacht und was Newton sehr bald schon seine dunkle Materie nennen sollte. Mister Halls Mitteilung hatte meinen Herrn außerordentlich beunruhigt, da das Fälschen von Guineen weit schwerwiegender war als das Fälschen von Silberkronen oder Schillingen und uns dennoch der Beweis in Gestalt einer gefälschten Münze fehlte. Doch am Abend des dreizehnten Februar, eines Samstags, behob sich dieser Mangel von allein.
    Ich war früh schlafen gegangen und erwachte plötzlich davon, dass Mister Hall in meiner Schlafkammer stand, eine Kerze in der Hand.
    «Was gibt es, Mister Hall?», fragte ich, recht erschrocken, weil Mister Hall, bei aller Zuverlässigkeit, doch von recht finsterer Erscheinung und zudem alt und schweigsam war, sodass er am Fuß meines Bettes stand wie Charon, der darauf wartete, meine Seele über die Sümpfe des Acheron zu befördern. Charons Preis war ein Obolus, aber das, was Mister Hall hergeführt hatte, war eine Guinee.
    «Ich glaube, wir haben gefunden, was wir suchen, Mister Ellis», sagte er auf seine schleppende undeutliche Art. «Dem Oberaufseher von Newgate kam zu Ohren, dass sich ein Gefangener namens John Berningham gebrüstet haben soll, sein Willkommen in Form einer falschen Guinee entrichtet zu haben.»
    Willkommen nannten die Wärter das Bestechungsgeld, welches sie Gefangenen, die auf ihren Prozess warteten, für eine bessere Behandlung abpressten und entrichtet wurde es in Kies oder Moos, was so viel hieß wie Bargeld: Seit ich in Newtons Diensten stand, hatte ich mir gezwungenermaßen ein ganzes Vokabularium der Gaunersprache angeeignet, da ich sonst niemals in der Lage gewesen wäre, die Zeugenaussagen, die ich zu Protokoll nahm, zu verstehen und es kam vor, dass Newton und ich miteinander redeten wie zwei Zuchthäusler.
    «Ich dachte, wir sollten dem jetzt gleich nachgehen», setzte
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    Mister Hall hinzu, «bevor der Mann wieder entlassen oder die Guinee nicht mehr auffindbar ist.»
    «Gewiss», sagte ich. «Ich komme mit.»
    Also machte ich mich unverzüglich fertig und Mister Hall und ich marschierten auf beschwerlichste Art nach Newgate, da die Wege vom unlängst gefallenen, inzwischen aber zertrampelten Schnee voller Eis und Wasser waren.
    Von weitem sah Newgate ja ganz gut aus, da es nach der Zerstörung durch das Große Feuer erst kürzlich wieder aufgebaut worden war, mit einer schmucken Pilasterfassade, welche bei näherer Inspektion erklärt hätte, warum das Gefängnis auch The Whit genannt wurde, denn auf dem Sockel einer Stützsäule sitzt ein steinernes Abbild von Dick Whittingtons Katze. Aber eine nähere Inspektion ließ The Whit nicht so leicht zu. Wer so töricht war, im Bereich des Eingangstors zu verweilen, lief Gefahr, bepisst oder von einem herabgeschleuderten Nachtgeschirr getroffen zu werden und als ich mich dem Eingang näherte, musterte ich aus Gewohnheit die oberen Fenster so aufmerksam, dass ich nicht darauf achtete, wohin ich trat und den Fuß genau in einen riesigen Hundehaufen setzte, was die Elendsgestalten am Bettelgitter zur Newgate Street, die sonst stets um Almosen schrieen, außerordentlich belustigte. Ich konnte diese durchs Gitter ragenden, körperlosen Hände nie passieren, ohne an die Tore der Höllenstadt Dis in Dantes Inferno

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