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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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sagte er. «Denn ich werde den ganzen Morgen in meinem Laboratorium zu tun haben, um den Schmelzofen auf die nötige Temperatur zu bringen.»
    «Es wäre mir eine Freude, Sir. Wenn Miss Barton nicht zu enttäuscht von mir ist.»
    Sie sagte nichts.
    «Oder hattest du vielleicht gehofft», fuhr Newton, an seine Nichte gewandt, fort, »den Dekan beim Essen für dich allein zu haben? Ich wollte Mister Ellis nämlich bitten, zum Essen zu bleiben.»
    Miss Barton schloss kurz die Augen und bedachte mich, als sie sie wieder aufschlug, mit ihrem liebreizendsten Lächeln.
    Und so begleitete ich Miss Barton und Mrs. Rogers nach St.
    James, was mir großes Vergnügen bereitete, wenn es auch das erste Mal seit Ewigkeiten war, dass ich eine Kirche von innen sah und ich eine überaus langweilige Predigt des Dekans, über
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    Jakobs Kampf mit dem Engel des Herrn, ertragen musste, was mir allerdings dadurch erleichtert wurde, dass ich eine so hübsche Person wie Miss Barton zum Betrachten hatte und sie während des Gottesdienstes ein-, zweimal meine Hand drücken fühlte.
    Nach der Kirche kehrten wir in Newtons Haus zurück und ich ließ Miss Barton und Mrs. Rogers in der Küche zurück und begab mich ins Laboratorium, das im Kellergeschoss lag, mit einem Fenster zu einem kleinen Garten. Dieses Laboratorium war wohl ausgestattet und enthielt allerlei chemikalische Gerätschaften, Retorten, Schalen, Helme, Tiegel und einen Schmelzofen, welcher jetzt schon so heiß war wie der tiefste Schlund der Hölle, sodass mein Herr mächtig schwitzte.
    Beim Geräusch meiner Schritte drehte er sich um und winkte mich erfreut zu sich. «Ah, Mister Ellis», übertönte er das Tosen des Schmelzofenfeuers. «Ihr kommt gerade rechtzeitig, um meine persönliche Variante der Büchsenprobe zu verfolgen.» Er spielte auf das uralte Verfahren an, mittels dessen der Feingehalt frisch geprägter Münzen von einem Komitee der Goldschmiedegesellschaft geprüft wurde. «Für mich ist der Versuch, Blei in Gold zu verwandeln, ebenso absurd wie die Annahme, dass sich Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi verwandeln. Es geht darum, was diese beiden Dinge symbolisieren, das sollte uns inspirieren. Die Natur ist nicht nur etwas Chemisches und Physikalisches, sondern auch etwas Geistiges. Und wir sollten den Forschergeist, den dieses opus alchemycum in sich schließt, auf gleiche Weise akzeptieren, wie andere das opus divinum der heiligen Messe akzeptieren mögen.
    Beide sind Wege der Erkenntnis. Wir sind alle Wahrheitssucher.
    Aber nicht jeder von uns ist der Gnade des Glaubens, der alle Antworten gibt, teilhaftig geworden. Manche müssen diese Antworten selbst finden. Für die einen ist die Antwort im Dunkel das Licht des Heiligen Geistes; für andere hingegen ist es die Entdeckung, das sich im Dunkel der Natur wiederum
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    Licht verbirgt. Diesem Ziel der intellektuellen Erhellung ist mein ganzes Leben gewidmet. Und jetzt lasst uns schauen, was aus dieser Guinee geworden ist.»
    Newton begann den Inhalt seines Schmelztiegels zu inspizieren, während ich über seine Worte nachdachte. Was er damit meinte, vermochte ich in diesem Moment nicht gänzlich zu verstehen, aber später erkannte ich, dass er auf etwas abzielte, was menschlichen Fleiß und menschliches Können übersteigt.
    «Da, schaut», sagte er und zeigte mir, den Schmelztiegel mit einer Za nge haltend, das geschmolzene Metall.
    «Ist es falsch?», fragte ich. «Ich kann's nicht erkennen. Mir scheint es auch jetzt noch ganz schön echt.»
    «Ihr guckt, aber Ihr beobachtet nicht. Seht genauer hin. Da ist nicht nur ein Metall, da sind vier, vielleicht sogar fünf verschiedene. Ich weiß noch nicht, welche, aber ich habe den starken Verdacht, dass diese Münze hauptsächlich aus Kupfer besteht. Was uns ganz schön in Bedrängnis bringt, denn ich habe noch nie ein so gekonntes Faksimile gesehen, in diesen ganze n neun Monaten nicht. Wenn da noch mehr solcher...»
    Newton verstummte und schüttelte ernst den Kopf, als sei diese Vorstellung zu schrecklich, um sie in Worte zu fassen.
    «Aber wie wurde sie hergestellt? Glaubt Ihr, es ist dasselbe Verfahren, von dem auch Humphrey Hall gesprochen hat?»
    «Das glaube ich allerdings», sagte Newton. «Dieses Verfahren wurde im vorigen Jahrhundert in Frankreich ersonnen. Ich kenne seine Geheimnisse nicht bis ins Letzte, aber der Schlüssel ist wohl, wie bei so vielen Verfahren, Quecksilber. Über Quecksilber aber weiß niemand mehr als ich. Vor

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