Newtons Schatten
Moire-Seide trug sie ein dick gefüttertes Cape aus leuchtend rotem Stoff, in dem sie auffiel wie ein Kardinal in einer Quäkerkirche.
Mrs. Berningham blieb über eine Stunde bei ihrem Mann, verließ dann, das Gesicht wieder verhüllt, die Gefängnisabteilung und ging zum Haupttor, wobei ich ihr nachschlich wie ein Italiener in einer Rachetragödie. Als wir schließlich beide draußen vor dem Whit angelangt waren, ging sie Old Bailey in südlicher Richtung hinunter und ich folgte ihr wieder. Zu meiner Verblüffung tauchte plötzlich mein Herr neben mir auf, er verstand es, sich weit unauffälliger zu bewegen, als man es einem so berühmten Mann zugetraut hätte.
«Ist das Mrs. Berningham?», fragte er.
«Die nämliche», entgegnete ich. «Aber was ist mit Scotch Robin und John Hunter? Habt Ihr sie verhört?»
«Ich habe ihnen beiden reichlich Stoff zum Nachdenken hinterlassen», sagte Newton. «Ich habe ihnen gesagt, so wahr ich den Himmel kennen lernen wolle, würde ich dafür sorgen, dass sie beide noch vor Mittwoch am Strang enden, wenn sie mir nicht verraten, wer einen Prägestock gestohlen haben könnte. Ich werde morgen wieder kommen, um mir die Antwort abzuholen. Denn ich war immer schon der Meinung, dass es die Zunge beträchtlich löst, sich eine Nacht mit der Aussicht zu befassen, am Strick zu baumeln.»
Mrs. Berningham in ihrem roten Kapuzencape war immer noch gut zu erkennen, obgleich es schon recht dunkel war und zudem
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überaus kalt, sodass wir ganz gern hinter ihr herrannten, als sie ostwärts in die Ludgate Hill einbog und wir sie nicht aus dem Blick verlieren wollten. Doch als wir selbst um die Ecke bogen, sahen wir Mrs. Berningham von drei Strolchen umstellt, welche Knüttel in den Händen hielten und äußerst grob mit ihr zu reden schienen. Ich fürchtete, dass sie ihr etwas antun wollten und schrie die Burschen an, von ihr abzulassen. Worauf der kräftigste und schurkischste der drei Kerle auf mich zukam und höchst bedrohlich seinen Knüttel schwang.
«Wie ich sehe, braucht Ihr eine kleine Einschüchterung, Gentlemen», knurrte er. «Um Euch zu lehren, Euch um Eure eigenen Angelegenheiten zu kümmern.»
Ich zog die beiden doppelläufigen deutschen Wender-Pistolen, welche ich immer trug, wenn ich ins Whit ging, spannte die eine und feuerte über seinen Kopf hinweg, in der Annahme, dass ihn das abschrecken würde. Als er jedoch unverdrossen näher kam, war mir klar, dass diesem Kerl nicht zum ersten Mal Kugeln um die Ohren flogen. Ich sah mich gezwungen, erneut zu schießen, diesmal jedoch gezielter und als er aufschrie und den Knüttel fallen ließ, war ich mir sicher, ihn in die Schulter getroffen zu haben. Ich spannte die andere Pistole und feuerte zweimal auf einen der beiden anderen Kerle, die ihrem Kumpan gefolgt waren, verfehlte ihn jedoch, da er sich so schnell bewegte und als ich diesen Schurken ebenso unbeeindruckt näher kommen sah und es schien, als wolle er mit einem Aufsteckbajonett auf meinen Herrn losgehen, da zog ich mein Rapier und stach ihn in den Oberschenkel, sodass er aufjaulte wie ein Hund und gerade noch innehielt. Worauf die drei einen mehr oder minder ungeordneten Rückzug antraten und ich ihnen schon nachsetzen wollte, als ich plötzlich meinen Herrn am Boden liegen sah.
«Doktor Newton», rief ich und kniete mich äußerst besorgt neben ihn, weil ich dachte, er sei doch mit dem Bajonett durchbohrt worden. «Seid Ihr wohlauf?»
«Ja, dank Eurer Hilfe», sagte Newton. «Ich bin auf den
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Pflastersteinen ausgerutscht, als dieser elende Halunke mich erstechen wollte. Kümmert Euch um die Dame, mir ist nichts passiert.»
Mrs. Berningham war recht gefasst und zudem überaus hübsch, denn ihre Kapuze war im Getümmel herabgerutscht, doch als sie mich mit dem blanken Rapier dastehen sah, begriff sie wohl, in welcher Gefahr sie geschwebt hatte, denn plötzlich schien sie der Ohnmacht nahe, sodass ich sie hochhob und, geführt von meinem Herrn, Old Bailey hinauftrug und in die Kalesche setzte, welche unweit des Whit auf uns wartete.
«Seid so gut, Madam und sagt uns, wo Ihr wohnt, damit wir Euch sicher nach Hause bringen können», sagte Newton.
Mrs. Berningham tupfte sich die leicht gepuderte Haut von Wangen und Nase mit einem mouchoir und sagte: «Ich stehe tief in Eurer Schuld, Gentlemen, denn ich glaube wahrhaftig, diese Strolche wollten Schlimmeres, als mich nur auszurauben. Ich wohne in der Milk Street, um die Ecke Cheapside, gleich bei der
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