Newtons Schatten
ihn jedoch als einen unbeschwerten Gesellen, genau die Sorte Mann, die ich mir einst als Wirtshausgenossen ausgesucht hätte und äußerst fröhlich, solange es nicht darum ging, über Lord Lucas, den Lord Lieutenant des Tower, herzuziehen, was das Einzige war, was ihn und Newton verband.
«Welch unerwartete Begegnung», sagte Newton mit einer Verbeugung. «Was führt Euch hierher, Mister Neale?»
Mister Neale war in Begleitung eines mittelgroßen Mannes, der sich in einiger Entfernung hielt und mir irgendwie bekannt vorkam. Dieser andere Mann war etwa vierzig, mit Hakennase, scharfem Kinn, grauen Augen und einem Muttermal am Mund; er trug eine teure Perücke und einen Diamantring am kleinen Finger, wirkte aber dennoch auf eine unerklärliche Weise heruntergekommen und melancholisch.
Der Münzmeister stellte uns seinen Gefährten als Mister Daniel
-112-
Defoe vor und erklärte, er habe ihm seine Dienstresidenz im Tower vermietet.
«Aber ich dachte, die sei schon vermietet», wandte Newton ein.
«An Mister Barry.»
«War sie auch, war sie auch», gluckste Mister Neale vergnügt.
«Aber ein anderer Gentleman, welcher beim Kartenspiel bereits sein ganzes Geld an mich verloren hatte, überredete mich, das Vermietungsrecht als seinen Einsatz zu akzeptieren. Den er prompt verlor. Doch kaum hatte ich es zurückgewonnen, verlor ich es auch schon wieder an diesen Freund hier.» Neale grinste zu Mister Defoe hinüber, der stumm zurücknickte.
«Mister Defoe, das ist der berühmte Doktor Newton, ein höchst bedeutender Wissenschaftler. Falls Ihr das Haus selbst bezieht, werdet Ihr ihn ständig hier in der Münze sehen. Er steht in dem Ruf, seinen Pflichten als Münzwart überaus fleißig nachzukommen.»
«Fleiß ist der Vater wirtschaftlichen Erfolges», sagte Mister Defoe und verbeugte sich vor Newton.
«Mister Defoe, ich bin zuversichtlich, dass Ihr Euch in Eurem neuen Haus überaus wohl fühlen werdet», sagte Newton.
«Ist es hier immer so laut?», fragte Mister Defoe.
Newton sah sich fast schon überrascht um. «Ich muss gestehen, dass ich den Lärm kaum noch bemerke, es sei denn, jemand spricht ihn an. Man gewöhnt sich wohl daran.»
Während wir uns noch unterhielten, wurde auf der äußeren Befestigungsmauer eine Kanone abgefeuert und Mister Defoe fuhr erschrocken zusammen.
Newton lächelte. «Ich fürchte allerdings, an die Kanone gewöhnt man sich nie.»
Schließlich verabschiedeten sich die beiden Männer, worauf Newton einen tiefen Seufzer ausstieß und den Kopf schüttelte.
«Ich hielt diesen Posten hier für vorteilhafter als eine
-113-
Kirchenpfründe», sagte er. «Doch wenn ich mich von solchen Männern umgeben sehe, mit den Taschen voller gezinkter Würfel und Gelder von allen Seiten, bin ich mir nicht mehr so sicher. Fandet Ihr nicht, dass Mister Defoe wie der unehrlichste Gentleman aussah, der Euch je begegnet ist?»
Noch während ich antwortete, dass es selbst im Kerker von Newgate ehrlicher aussehende Männer gebe und Mister Defoe sich zweifellos bestens unter die zwielichtigen Gestalten, die ohnehin schon im Tower waren, einfügen werde, fiel mir wieder ein, woher ich diesen Mister Defoe kannte.
«Ich glaube, ich habe diesen Herrn schon einmal gesehen», sagte ich. «Als ich noch auf der Rechtsschule war. Er stand wegen Schulden vor dem Oberhofgericht und ihm drohte das Schuldgefängnis. Aufgefallen ist er mir nur wegen der eigentümlichen Umstände dieses Bankrotts, welcher mit dem Plan zu tun hatte, versunkene Schätze mittels einer Taucherglocke zu heben.»
«Einer Taucherglocke?»
«Ja, Sir, einer Vorrichtung, die es dem Menschen erlaubt, unter Wasser zu atmen.»
Jetzt war Newtons Interesse geweckt. «Ich wüsste gern mehr über unseren neuen Nachbarn», gestand er. «Seht zu, was Ihr noch über ihn herausfinden könnt. Es gefällt mir nämlich gar nicht, bankrotte Männer an einem Ort wie diesem zu wissen.
Und zumindest möchte ich erfahren, ob er Freund oder Feind ist.»
Friend or Foe. Ich lächelte, denn es kam äußerst selten vor, dass Newton einen Witz machte. «Ich werde dem nachgehen, Herr.»
Nicht weit vom Haus des Stempelschneiders, welches beim Diverin Tower lag, trafen wir Richard Morris, der ebenfalls Stempelschneider war und Newton unterhielt sich eine ganze Weile mit ihm über alle möglichen Dinge, sodass mir beinah entgangen wäre, wie er ihn ganz nebenbei nach dem Befinden
-114-
des von Scotch Robin und John Hunter beschuldigten Daniel Mercer
Weitere Kostenlose Bücher