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Newtons Schatten

Newtons Schatten

Titel: Newtons Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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fragte.
    «Er ist wohlauf, glaube ich», sagte Mister Morris. «Sein Onkel in Amerika ist kürzlich gestorben. Aber er hat einiges Geld von ihm geerbt und scheint nicht allzu betrübt.»
    «Ein wenig Geld lindert manchen Schmerz», sagte Newton.
    «Überaus praktisch, so ein verstorbener Erbonkel in Amerika», sagte Newton, als wir allein in unserer Amtsstube waren. «Denn nichts erregt so viel Aufmerksamkeit, wie wenn einem plötzlich das Geld locker sitzt.»
    «Das dachte ich auch», sagte ich.
    Dann aßen wir zu Mittag, worüber ich sehr froh war und beim Essen sprachen wir von anderen Münzgeschäften und auch von religiösen Dingen, denn ich wollte unbedingt mehr darüber erfahren, warum mein Herr die Göttlichkeit Jesu Christi bestritt und ich sagte, es sei doch seltsam, wenn jemand, der schon so viele Jahre Professor am Holy Trinity College in Cambridge sei, nicht an ebenjene Doktrin glaube, welche die Inspiration zur Gründung ebendieses College gewesen sei. Darauf verstummte Newton, als hätte ich ihn der Heuchelei bezichtigt und ich war froh, als schließlich Newtons stahlnasiger Walzwerksspion, Mister Kennedy, auf unsere Botschaft hin in der Amtsstube erschien.
    «Mister Kennedy», sagte Newton. «Was wisst Ihr über Daniel Mercer?»
    «Nur dass er ein Stempelschneider ist, den ich für einen ehrlichen Mann gehalten hätte. Ich kenne ihn vom Sehen, glaube ich. Aber wir haben nie miteinander geredet.»
    «Ihr sagt, Ihr hättet ihn für einen ehrlichen Mann gehalten?»
    «Tatsächlich ist es nur Eure Frage, Sir, die mir nahe legt, es könnte anders sein. Ich habe nie etwas gesehen oder gehört, was mich an meinem Eindruck zweifeln ließe. Sonst hätte ich's Euch
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    sofort mitgeteilt, da könnt Ihr sicher sein.»
    «Ich weiß, Ihr seid ein anständiger Bursche, Kennedy.» Newton legte eine funkelnagelneue Guinee vor ihn auf den Tisch. «Ich möchte, dass Ihr mir einen Dienst leistet. Ich möchte, dass Ihr Daniel Mercer im Auge behaltet.»
    «Wenn's zum Wohl der Münze ist, Sir», sagte Kennedy und beäugte die Guinee. Er tat, als hätte er uns noch nie Spitzeldienste geleistet und dabei hatte er es schon so oft getan und für weniger Geld, als ihm jetzt dafür geboten wurde.
    «Das ist es. Er wurde mir in Newgate als Komplize genannt, von Scotch Robin und John Hunter.»
    «Verstehe.» Kennedy schniefte laut und prüfte dann, ob seine Blechnase, welche von einer am Hinterkopf zugebundenen Schnur gehalten wurde, noch gerade saß. «Könnte natürlich sein, dass sie ihre Haut retten wollten, indem sie einen Unschuldigen bezichtigen.»
    «Es ehrt Euch, dass Ihr das sagt, Kennedy. Aber sie wurden getrennt befragt und haben jeder für sich Mercer genannt, ohne dass ich es ihnen irgendwie in den Mund gelegt hätte.»
    «Verstehe.» Kennedy nahm die Guinee in die Hand.
    «Mercer steht im Verdacht, Guineenstempel zu stehlen. Ich möchte, dass Ihr mir mitteilt, ob Ihr das für wahr haltet oder nicht. Und wenn ja, wer seine Bundesgenossen sind. Und wo man sie findet.» Er deutete mit einer Kinnbewegung auf Kennedys schmutzige Hand. «Ihr bekommt noch so eine, wenn Euer Beweismaterial vor Gericht verwendbar ist.»
    «Danke, Sir.» Kennedy steckte die Guinee ein und nickte. «Ich werde mein Bestes tun.»
    Daraufhin begab sich Newton ins Schatzamt, während ich in mein Haus zurückkehrte und den ganzen Nachmittag und Abend damit zubrachte, Zeugenaussagen, welche ich in anderen zur Verhandlung anstehenden Strafsachen aufgenommen hatte, ins
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    Reine zu schreiben. Nachdem ich bis Mitternacht gearbeitet hatte, aß ich und ging zu Bett.
    Um drei Uhr morgens weckte mich Thomas Hall, der persönliche Gehilfe Mister Neales, der höchst erregt vor meiner Tür stand.
    «Was gibt es, Mister Hall?», fragte ich.
    «Mister Ellis, es ist etwas Schreckliches geschehen. Mister Kennedy wurde tot aufgefunden. Er ist unter grausigsten Umständen ums Leben gekommen.»
    «Mister Kennedy? Tot? Wo denn?»
    «Im Löwenturm.»
    «War es ein Unfall?»
    «Das kann ich nicht sagen, aber Ihr solltet vielleicht Doktor Newton holen.»
    Ich machte mich also schleunigst fertig und begleitete Mister Hall zum Löwenturm, früher Barbican genannt, der gleich außerhalb des Westtors stand. Es war eine bitterkalte Nacht und ich zitterte unter meinem Umhang, was sich nur noch verschlimmerte, als ic h erfuhr, welch schreckliches Schicksal Mister Kennedy ereilt hatte, denn er war offenbar von einem Löwen der Tower-Menagerie halb aufgefressen

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