Newtons Schatten
beliefert, nicht aber die Münze. Unser Stroh kommt hauptsächlich von den Moor Fields.
Unser ganzer Betrieb läuft völlig getrennt von dem der Ordnance, fast als wären sie Frankreich und wir England, was gar nicht mal so weit hergeholt ist, wenn man bedenkt, wie viele Hugenotten hier im Tower sind.»
«Verstehe», sagte Newton. «Und um welche Zeit werden das Stroh und das Futter geliefert?»
«Jederzeit, Sir. Weil die Pferde an diesem Ort die wichtigsten Geschöpfe sind, denn wenn sie nicht ordentlich gefüttert und getränkt würden, dann würde es in der Münze bald drunter und drüber gehen. Oder vielmehr würde dann gar nichts mehr gehen, wenn Ihr versteht, was ich meine.»
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«Durchaus», sagte Newton geduldig. «Dann sagt doch bitte, Mister Adam, wann wurde Euch die letzte Fuhre angeliefert?
Und von wem?»
«Das muss so um sechs Uhr gewesen sein, Sir. Ich habe die Glocke von der Kapelle gehört. Aber wer es gebracht hat, kann ich Euch beim besten Willen nicht sagen, Sir, weil ich mir sicher bin, dass ich den Burschen vorher noch nie gesehen hatte. Was nicht weiter ungewöhnlich ist, Sir. Hier herrscht die ganze Nacht allerlei Kommen und Gehen.»
Wir verließen die Ställe nicht viel klüger, als wir sie betreten hatten und als Newton im Fenster des Münzmeisterhauses Kerzenlicht sah, kam ihm der Gedanke, Mister Defoe zu fragen, ob er vielleicht irgendetwas Verdächtiges gehört oder gesehen habe. Doch auf sein Klopfen öffnete ihm nicht Mister Defoe, sondern Mister Neale persönlich und mehr noch, unser Blick fiel auf ein Männerquartett, welches um den Esstisch saß und den Raum mit Pfeifenqualm füllte, dass er stank wie ein holländischer Kahn. Es waren Mister Foe, Mister Hooke, des Doktors ewiger wissenschaftlicher Widersacher und Graf Gaetano und Doktor Love, die beiden Halunken, welche meinen Herrn mit ihrer betrügerischen Transmutation hatten hereinlegen wollen.
Weitere Wachsoldaten trabten jetzt, auf dem Weg zur Sally-Port-Treppe, am Haus vorbei, was mir so vorkam, als schlösse man die Stalltür, wenn das Ross bereits gestohlen ist. Mister Neale trat auf die Straße hinaus.
«Was hat dieser Aufruhr zu bedeuten, Doktor?», fragte er.
«Brennt es?»
«Nein, Sir, es gab einen weiteren Mord», erwiderte Newton.
«Ein Stempelschneider, Mister Mercer, wurde tot an der Sally-Port-Treppe gefunden.»
«Weiß man, wer der Schuldige ist?»
«Noch nicht», sagte Newton. «Ich habe an diese Tür geklopft,
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weil ich hoffte, Mister Defoe hätte vielleicht etwas gehört oder gesehen.»
Mister Defoe kam an die Tür und schüttelte den Kopf. «Wir haben nichts gehört.»
Der Münzmeister sah erst Mister Defoe an, dann die übrige Versammlung, welche steif um den Tisch herumstand und nach finsteren Machenschaften roch wie ein Hund nach fauligem Fleisch.
«Wenn man sich vorstellt, dass wir hier sitzen und Karten spielen und nur wenige Schritte entfernt ein Mord passiert», sagte Mister Neale. «Das ist ja ungeheuerlich.»
«Das ist es allerdings, Mister Neale», sagte Newton. «Aber ich glaube, ich habe die Sache im Griff. Die Ermittlungen sind bereits im Gange.»
Neale schüttelte den Kopf. «Das wird die Münzerneuerung nicht gerade beschleunigen», sagte er. «Es könnte die Tätigkeit der Münze zum Erliegen bringen.»
«Das ist auch meine größte Sorge», sagte Newton. «Deshalb habe ich mich der Sache persönlich angenommen. Ich bin zuversichtlich, dass wir diesen Schurken bald fassen werden.»
«Nun gut, dann überlasse ich die Angelegenheit nur zu gern Euch, Doktor, denn mein Magen ist so schwach und empfindlich, dass ich den Anblick eines Leichnams nicht vertrage. Eine gute Nacht, Münzwart.»
«Euch ebenfalls eine gute Nacht, Münzmeister.»
Als Mister Neale die Tür geschlossen hatte, zog Newton viel sagend die Brauen hoch. «Das», sagte er leise, «ist wahrhaftig ein feiner Haufe Halunken.»
«Aber warum habt Ihr Mister Neale nicht vor Doktor Love und Graf Gaetano gewarnt?», «Dazu ist jetzt wohl kaum Zeit», sagte Newton. «Es gilt dringend, Beobachtungsdaten zu sammeln; nur daraus wird sich die Erkenntnis ergeben, was hier vor sich
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gegangen ist. Zudem sagte mir der stinkende Tabaksdunst in diesem Raum, dass die Tür des Münzmeisterhauses schon geraume Zeit nicht mehr geöffnet worden war. Ergo kann keiner von ihnen Mercers Leichnam hier deponiert haben.»
Als wir uns zum Gehen wandten, sah Newton zur äußeren Befestigungsmauer empor, welche sich
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