Nextopia

Sie mal »Scheidung Tipps« ein, dann bekommen Sie 1,9 Millionen Treffer angezeigt. Zu viel Information? Kein Problem, Google hält Links zu über 4,5 Millionen Scheidungsanwälten bereit. Offenbar ist es nicht leicht, in der Erwartungsgesellschaft verheiratet zu sein. Fragen Sie mal die Briten. Dort hat sich die Zahl der Scheidungen binnen zwei Jahren nach der Eheschließung von 1528 im Jahr 1983 auf 10
 
316 im Jahr 2003 erhöht, wenn man dem britischen Amt für Statistik glauben will. In Deutschland stieg die Scheidungsrate seit 2000 um 5 Prozent. In der Erwartungsgesellschaft ist das Heiraten schon schwer, aber das Verheiratetbleiben ist noch schwerer.
Die Zukunft von heute zum Sonderpreis
    IN DER ERWARTUNGSGESELLSCHAFT BESAGT EIN GESETZ, dass immer noch etwas Besseres kommt. Das erwarten wir so. Teilweise, weil die Erfahrung es uns gelehrt hat. Bei der Entwicklung des Weltmarktes, bei der 24/7-Verfügbarkeit und bei den gewaltigen technischen Fortschritten der letzten Jahrzehnte wird mit hoher Wahrscheinlichkeit irgendein Produkt auf den Markt kommen, das besser ist als die existierenden. Sobald ein Produkt herausgekommen ist, kann jemand es in Helsinki kaufen, es nach Sao Paulo bringen und über Nacht daran herumschrauben, es auseinandernehmen bis in seine kleinsten Bestandteile und dann wieder zusammensetzen, um herauszufinden, wie es hergestellt wurde, und am nächsten Morgen bringt er ein identisches Produkt auf den Markt mit einer zusätzlichen besonderen Eigenschaft, die das Originalprodukt nicht hat – vermutlich weil die Technologie sich seit gestern weiterentwickelt hat.
    Wenn Sie deshalb einen Plasma-Fernseher kaufen, haben Sie diesen nagenden Gedanken im Hinterkopf, dass es im selben Geschäft wahrscheinlich bald einen Fernseher mit größerem Bildschirm, höherer Auflösung und besserem Design zu einem günstigeren Preis geben wird. Denn der Plasma-Fernseher, den Sie in Betracht ziehen, konkurriert nicht nur mit anderen existierenden Produkten, sondern auch mit zukünftigen. Paradoxerweise bedeutet dies, dass wir einen Rabatt bekommen sollten, wenn wir das Produkt heute kaufen, denn heute ist im Hinblick auf morgen weniger wert.
    Kommt Ihnen der letzte Satz ein bisschen zu philosophisch vor? Stellen Sie es sich so vor, als würden Sie für nächstes Wochenende ein Abendessen in einem schicken französischen Restaurant planen. Klingt toll, finden Sie nicht? Aber wäre es immer noch genauso toll, wenn Sie wüssten, dass Sie die Woche darauf zu einem eleganten Hummeressen gehen? Genau diese Frage wurde Studenten bei einem Experiment zur Zeitabhängigkeit von Entscheidungen gestellt. Die Forscher gaben ihnen die fantastische Möglichkeit, in einem schicken französischen Restaurant zu essen, entweder am kommendenWochenende oder das Wochenende danach. Ihre Entscheidungen sind in folgender Tabelle aufgeführt.
    [Bild vergrößern]
    Die erste Zeile zeigt, dass die Probanden meinten, ein Besuch im Restaurant würde das Warten lohnen, die meisten von ihnen, 84 Prozent, zogen sogar die Wartezeit vor. Lieber abzuwarten ist ein weiteres fundamentales Kennzeichen der Erwartungsgesellschaft, mit dem wir uns später befassen werden. Vorerst wollen wir vor allem im Kopf behalten, dass das Warten sich lohnt. Die zweite Zeile zeigt ein anderes Muster, bei dem die Mehrheit der Studenten es vorzieht, nicht auf das Essen in dem schicken französischen Restaurant zu warten. Die zweite Zeile zeigt die Präferenzen jener, denen gesagt wurde, dass sie auch übernächstes Wochenende zu einem eleganten Hummeressen gehen könnten, unabhängig von ihrer Entscheidung, wann sie in dem französischen Restaurant essen wollen. Ihre Auswahl zeigt, dass sie nun mehrheitlich lieber an diesem als am nächsten Wochenende in das französische Restaurant gehen wollten.
    Die bevorzugte Terminplanung für den Besuch des französischen Restaurants ist ein Beispiel dafür, wie die Zukunft von heute im Angesicht von morgen an Wert verliert. Wenn die Menschen nicht erwarten, dass noch etwas Besseres auf sie zukommt, und für das übernächste Wochenende lediglich ein ganz normales Abendessen zu Hause erwarten, ist der künftige Wert des schicken französischen Restaurants hoch, und die meisten sind bereit, es später zu besuchen. Erwarten sie jedoch noch etwas Besseres in Form eineseleganten Hummeressens (das für amerikanische Studenten offenbar noch eine größere kulinarische Erfahrung ist als französische Speisen), verringert sich der