Nextopia
etwas wird (je mehr es uns wert ist), desto stärker wollen wir es kontrollieren. Wenn Menschen also etwas tun, das die Kontrolle ihrer Bewunderer infrage stellt, legt die Geschichte nahe, dass sie auf sich aufpassen sollten …
Werden Idole im neuen Jahrtausend und in der Welt beliebiger Verfügbarkeit mit einer höheren oder einer geringeren Wahrscheinlichkeit umgebracht? Meine Antwort wäre: weniger häufig. Nicht weil die Idole von heute bessere Security-Leute haben (obwohl auch dies zutrifft), auch nicht weil die Menschen des neuen Jahrtausends generell weniger mordlustig wären. Sondern weil man heutzutage weniger die Notwendigkeit verspürt zu töten, was man liebt.
Stattdessen kann man es kontrollieren. Die Erwartungsgesellschaft hat eine neue Generation herangezüchtet: die Generation Verantwortung. Nie zuvor haben so viele Menschen gegen Ungerechtigkeiten protestiert, sich zu guten Zwecken zusammengefunden, Rot getragen, Facebook-Gruppen gegründet und so weiter. In der Welt beliebiger Verfügbarkeit kann jeder zu jedem Zeitpunkt aus jedem Grund Millionen von Menschen zusammenbringen. Deshalb erwarten wir, alles und jeden beeinflussen zu können. Die Generation Verantwortung ist in der Lage und erwartet zu kontrollieren, was sie liebt.
I. HILLARY CLINTON Im Frühjahr 2008 waren die Vereinigten Staaten (ebenso wie die Aufmerksamkeit der restlichen Welt) komplett beherrscht von den Vorwahlen. Während Obama schließlich zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gewählt wurde, hatte Hillary Clinton einen anfänglichenVorsprung und lieferte sich mit ihm ein härteres Rennen, als man zuvor vermutet hatte. Kein Wunder. Von Anfang an hatte sie sich auf das konzentriert, was den Menschen wirklich am Herzen liegt. Zum Beispiel die Auswahl des richtigen Wahlkampfsongs.
Nun, eigentlich wählte Hillary ihren Wahlkampfsong nicht selbst aus. Das tat die Generation Boss. Im Frühjahr 2007 ging Hillary mit einer Wahlkampf-Website online, auf der die User für ihren bevorzugten Hillary-Song abstimmen konnten. Hunderttausende nahmen in den folgenden Monaten dieses Angebot wahr. Zu den Nominierungen zählten Get Ready von den Temptations, Beautiful Day von U2, I’m a Believer von Smash Mouth, You and I von Celine Dion und Ready to Run von den Dixie Chicks.
Die konkurrierenden Songs werden in einem Video präsentiert, eine Parodie auf die Schlussszene der letzten Folge von Die Sopranos – mit einem Verweis auf Hillarys Website, wo der Sieger verkündet wird.
Politiker haben immer schon versucht, andere zu erreichen, das ist für das neue Jahrtausend nichts Neues. Neu ist jedoch, dass sich niemand darüber zu ärgern braucht, mit welchen Mitteln Hillary dies tut – schließlich konnte man für sie entscheiden!
Falls Sie es aus unerfindlichen Gründen versäumt haben sollten: Der Siegertitel war You and I von Celine Dion.
II. RADIOHEAD Im April 2008 brachte die britische »Alternative-Rock«-Band Radiohead ihre neueste Single heraus, Nude vom Album In Rainbows.
Ihre Botschaft an die Fans lautete: »Gefällt’s euch nicht? Tja, deswegen braucht ihr uns ja nicht umzubringen. Macht es einfach besser!«
»Alternative Künstler« hatten immer schon ein ziemlich schwieriges Verhältnis zu ihren Fans, die dazu neigen, sich recht stark mit ihren Idolen zu identifizieren, dogmatische Ansichten über ihre Beziehung zu pflegen und den Aktivitäten ihrer Lieblinge kritisch gegenüberzustehen. »Alternative Künstler«werden von ihren Fans gemeinhin noch mehr verehrt als ihre berühmten Kollegen. Ein neues Album herauszubringen, die musikalische Richtung zu wechseln ist immer ein hohes Risiko, denn die Fans könnten sich beleidigt fühlen – und infolgedessen beschließen, die Beziehung zu beenden. Oder die Kontrolle über den Künstler zurückzugewinnen.
Durch die Veröffentlichung von Nude gaben Radiohead ihren Fans die Möglichkeit, die Kontrolle über sie zurückzugewinnen, ohne sie umzubringen. Auf radioheadremix.com konnte jeder seinen eigenen Remix der neusten Single hochladen. Alle Tonspuren des Songs – Gitarren, Stimme, Beats, Orchester – standen jedem zur Verfügung, der die Komposition remastern wollte. Etliche Tausend Remixe wurden auf die Website hochgeladen, ehe am 1. Mai die Frist ablief. Jeder war aufgefordert, sich die Remixe anzuhören und seine Stimme abzugeben, was über 100.000 Menschen taten. Anschließend folgten Radiohead den Stimmen ihrer Herrn.
III. NINE INCH NAILS Erinnern Sie sich noch,
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