Nextopia

seiner langen Finger hat, kann auch jeder überall und zu jedem Zeitpunkt etwas Interessanteres, Aufregenderes, Ungeheuerlicheres tun, als Sie gerade getan haben. Warhols 15 Minuten Ruhm gab es nur im letzten Jahrtausend, im neuen Jahrtausend sind wir auf 15 Millisekunden Ruhm abgerutscht.
    Dies ist ein Tribut an die 15-Millisekunden-Berühmtheiten, die (nur allzu schnell vergessenen) Ikonen unserer Zeit!
    I. EVA NAZEMSON Erinnern Sie sich an sie? Ich bin sicher, dass bei Ihnen etwas klingelt, wenn Sie den Namen hören, obwohl Sie sie wahrscheinlich schon vergessen haben. Klingeln ist übrigens das richtige Stichwort. Frau Nazemson war Gastgeberin einer schwedischen Wörter-Rateshow im Spätprogramm (die niemand anschaute) und brachte es nahezu augenblicklich weltweit auf rund 10 Millionen Zuschauer sowie zu Einladungen zu Fernseh- und Radiotalkshows in Europa, Amerika und Asien, als sie sich im Frühjahr 2007 vor laufender Kamera erbrach, während sie mit einem Anrufer sprach. Einige Medienexperten gingen sogar davon aus, dass sie eine glänzende Fernsehkarriere vor sich hätte (die sich aber bis jetzt irgendwie nicht so richtig herauskristallisieren konnte).
    Eva Nazemson ist eine schöne 15-Millisekunden-Berühmtheit und ein gutes Beispiel dafür, wie man mit irgendetwas die weltweite Aufmerksamkeit erringen (und sich sogar von Experten eine außergewöhnliche Karriere prophezeien lassen) kann, um dann ebenso rasch wieder von der Bildfläche zu verschwinden.
    Erfreuen Sie sich an einem ihrer 48 YouTube-Clips. Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, addieren Sie mal die Aufrufe sämtlicher Clips, und zählen Sie die Millionen.
    II. KRISTEN Kennen Sie den Song What We Want von Ashley Alexandra Dupré? Ist der nicht großartig? Das muss er wohl, denn er zählte im Frühjahr 2008 zu den meistgespielten Titeln amerikanischer Radiosender. Zu dieser Zeit wurde er Hunderte Millionen Mal heruntergeladen und erzielte sechsstellige Umsätze, die nur ein paar Tage währten. Der Song ist alles andere als neu, die musikalische Karriere von Ashley Alexandra Dupré (alias Kristen) dagegen durchaus.
    Vielleicht haben Sie sie auf MySpace gesehen? Bestimmt haben Sie das. Immerhin haben sich über 5 Millionen Menschen innerhalb von 24 Stunden ihr Profil angeschaut; in den 24 Stunden, nachdem sie berühmt geworden war, denselben 24 Stunden, nachdem die Welt erfahren hatte, dass der Name des (jetzt ehemaligen) Gouverneurs von New York Eliot Spitzer lautet.
    Falls Sie sich zu dieser Zeit nicht gerade im Wald versteckt haben (wobei sich, wenn ich so darüber nachdenke, in der Welt beliebiger Verfügbarkeit eigentlich niemand mehr im Wald verstecken kann), dann kennen Sie die Geschichte. Die 22-jährige Kristen mit ihrer nicht vorhandenen Karriere als Musikerin und ihren unerfüllten Träumen versorgte Spitzer mit ihren nächtlichen Dienstleistungen. In dem Moment, da sich diese Nachricht verbreitete und ihr Name auf Computerbildschirmen auftauchte, wurde sie zu einer der berühmtesten Persönlichkeiten und einer der erfolgreichsten Musikerinnen der Welt.
    Hören Sie sich den Song mal an. Ist er nicht großartig?
    III. CHRIS CROCKER So groß ist die Macht der Expectitys, dass sie sogar andere Berühmtheiten hervorbringen können. Nehmen Sie zum Beispiel Chris Crocker. Wenn sich keiner mehr für die Expectity Britney Spears interessierte, würde ihn keiner kennen. Aber die Leute interessieren sich nach wie vor für Britney, denn sie ist eine Expectity von Rang und Namen – vermutlich bis zum Tag ihres Todes.
    Na, klingelt es immer noch nicht? Das braucht Ihnen nicht peinlich zu sein, denn obwohl die ganze Welt ihn kannte, sind seine 15 Millisekunden inzwischen vorüber. Sie können sie nochmal Revue passieren lassen, indem Sie ihn auf YouTube suchen. In dem Clip heult und schluchzt Chris hysterisch: »Lasst Britney in Ruhe.«
    Der Clip war noch keine 24 Stunden online (nach Britneys eher nicht so triumphalem Comeback bei den MTV Video Music Awards in Las Vegas 2008), da war er bereits 2 Millionen Mal angeschaut worden (wenig später betrug die Zahl der Aufrufe 100 Millionen). Heute gibt es über 4.600 YouTube-Clips, die sich auf Chris Crocker beziehen, darunter viele Parodien von Max Mustermann über Seth Green bis hin zu SpongeBob.
    15 Millisekunden lang war Chris Crocker der interessanteste Mensch der Welt, tauchte in Talkshows mit Jay Leno, Jimmy Kimmel, Ryan Seacrest, Howard Stern und vielen anderen auf und wurde auf CNN und Fox News