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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Füttern Sie ihn mit Vogelleim und zerstören Sie seine letzte Illusion!» Ob er nun bestochen wurde oder nicht, dieser alte Kritzelmeister tat genau das, was man ihm geraten hatte. Das — und noch ein bißchen mehr. Er machte mich mit dem menschlichen Elend bekannt.
    Jedoch ... unter den Tausenden, die kamen und gingen, die mich anbettelten, anflehten und fassungslos vor mir weinten, sozusagen das Letzte versuchten, ehe sie sich zur Schlachtbank begaben, erschien dann und wann ein Juwel von einem Burschen, gewöhnlich aus einem fernen Land, ein Türke vielleicht oder ein Perser. Und so kam auch eines Tages dieser Ali Soundso zu mir, ein Mohammedaner, der sich in der Wüste zu einem hervorragenden Kalligraphen ausgebildet hatte. Nachdem er mich kennengelernt und herausbekommen hatte, daß ich ein Mann mit großen Ohren war, schreibt er mir einen zweiunddreißig Seiten langen Brief, in dem kein Komma oder Semikolon fehlt, und erklärt mir darin (als wäre das ungeheuer wichtig für mich), daß die Wunder Christi — er ging auf jedes einzelne ein — durchaus keine Wunder seien, sie seien alle schon vorher von unbekannten Menschen vollbracht, selbst die Auferstehung, von Menschen, welche die Gesetze der Natur kannten. Unsere Wissenschaftler wüßten nichts von diesen Gesetzen, aber diese seien ewig und könnten durch die Vollbringung sogenannter Wunder bewiesen werden, wenn sie richtig angewandt würden. Er, Ali, sei im Besitz des Geheimnisses, aber ich sollte das nicht bekanntmachen, weil er, Ali, sich entschlossen habe, ein Depeschenbote zu werden und «das Zeichen der Knechtschaft zu tragen», und zwar aus einem Grunde, der nur ihm und Allah - gesegnet sei sein Name! — bekannt sei, aber wenn die Zeit käme, brauchte ich nur das Wort zu sagen und so weiter und so fort.. .
    Wie hatte ich es doch nur fertiggebracht, alle diese göttlichen Behemoths und den Stunk, den sie ständig anrichteten, zu übersehen! Alle paar Tage wurde ich zum Obermotz gerufen, um dieses oder jenes zu erklären und mich zu rechtfertigen, als hätte ich sie zu ihrem sonderbaren, unerklärlichen Verhalten angestiftet. Was für eine Arbeit, dem großen Oberbonzen (mit seinem Zwergenhirn) klarzumachen, daß die Blüte der amerikanischen Jugend aus den Lenden dieser Halbnarren entsprießt, dieser Ungeheuer, dieser hirnverbrannten Idioten, die, welches Unheil sie auch anrichteten, seltsame Talente besaßen, zum Beispiel die Kabbala rückwärts lasen, zehn Zahlenkolonnen gleichzeitig multiplizierten oder auf einer Eisscholle sitzen und alle Anzeichen des Fiebers dabei produzieren konnten. Keine dieser Erklärungen konnte natürlich die furchtbare Tatsache aus der Welt schaffen, daß eine ältere Frau am Abend vorher von einem dunkelhäutigen Teufel, der ein Telegramm mit einer Todesnachricht ablieferte, vergewaltigt worden war.
    Es war eine harte Zeit. Nie konnte ich dem Obermotz befriedigende Auskunft erteilen. Ich konnte ihm einfach nicht klarmachen, daß Tobachnikow, der Talmudschüler, das größte Ebenbild Christi, das jemals in den Straßen New Yorks Telegramme mit frohen Osterbotschaften austrug, Hilfe brauchte. «Wir müssen diesem armen Teufel unter die Arme greifen», sagte ich. «Seine Mutter liegt todkrank an Krebs danieder, sein Vater hausiert den ganzen Tag mit Schuhbändern, von den mageren Tauben (die an der Synagoge nisteten) kann er nicht leben. Er braucht einen Zuschuß, damit er seinen Magen füllen kann.»
    Um ihn in Erstaunen oder Ärger zu versetzen, erzählte ich ihm manchmal kleine Anekdoten über meine Boten, wobei ich immer die Vergangenheitsform gebrauchte, als spräche ich von jemandem, der früher einmal im Dienste der Gesellschaft gestanden hatte, obgleich er noch immer da war, sicher versteckt im PX oder FU. «Ja», sagte ich zum Beispiel, «er war bei der Konzertreise durch den Schwarzwald der Begleiter Johanna Gadskis.» Über einen anderen: «Er arbeitete einst bei Pasteur in dessen berühmtem Institut in Paris.» Von einem dritten: «Er ist wieder in Indien, um dort seine Weltgeschichte in vier Sprachen zu beenden.» Und schließlich gar: «Er war einer der größten Jockeys, verdiente, nachdem wir ihn entlassen hatten, ein Vermögen, fiel aber dann in einen Aufzugsschacht und starb an einem Schädelbruch.»
    Und was war die immer gleichbleibende Antwort? «Sehr interessant. Fahren Sie fort. Aber bitte, stellen Sie nur Jungen mit gutem Leumund und aus guten Familien ein. Keine Juden, keine Krüppel, keine

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