Nexus
erscheint und ebenso schnell wieder verschwindet, eine Welt, die jenseits allen Ausdrucks und jeder Analyse liegt und weder dem Intellekt noch den Sinnen angehört. . .›»
«Schön, wirklich schön!» sagte sie, als ich das Buch hinlegte, «aber versuche nur du nicht, so zu schreiben. Laß das Arthur Machen besorgen. Schreib du so, wie dir der Schnabel gewachsen ist.»
Ich setzte mich wieder an den Tisch. Eine Flasche Chartreuse stand neben dem Kaffee. Als ich einen Fingerhut der feurigen grünen Flüssigkeit in mein Glas schüttete, sagte ich: «Jetzt fehlt nur noch eins: ein Harem.»
«Den Chartreuse hat Pap besorgt», versetzte sie. «So entzückt war er von den Seiten.»
«Wir wollen hoffen, daß ihm die nächsten fünfzig ebenso gut gefallen.»
«Du schreibst das Buch nicht für ihn, Val, du schreibst es für uns.»
«Das ist richtig», sagte ich. «Ich vergesse das manchmal.»
Es fiel mir ein, daß ich ihr noch nichts von dem Inhalt des eigentlichen Buches erzählt hatte. «Ich möchte dir etwas sagen», begann ich. «Oder vielleicht sollte ich es noch eine Weile für mich behalten.»
Sie meinte, ich solle sie nicht erst neugierig machen und mich dann in Schweigen hüllen.
«Gut, so will ich's dir sagen. Es handelt sich um das Buch, das ich eines Tages zu schreiben beabsichtige. Ich habe die Notizen dazu alle fertig. Ich habe dir einen langen Brief darüber geschrieben, als du in Wien oder weiß Gott sonstwo warst. Ich konnte den Brief nicht abschicken, weil ich keine Adresse von dir hatte. Ja, das wird ein Buch . . . ein großes Buch. Es handelt von dir und mir.»
«Hast du den Brief noch?»
«Nein, ich habe ihn zerrissen. Daran bist du schuld. Aber die Notizen habe ich noch. Nur werde ich sie dir jetzt noch nicht zeigen.»
«Warum?»
«Weil ich keinen Kommentar hören will. Übrigens, wenn wir darüber reden, wird das Buch womöglich nie geschrieben. Es sind auch einige Dinge drin, die du am besten erst erfährst, wenn sie niedergeschrieben sind.»
«Du kannst mir vertrauen», beteuerte sie und verlegte sich aufs Bitten.
«Hat keinen Zweck», sagte ich, «du wirst warten müssen.»
«Aber wenn die Notizen verlorengingen?»
«Ich könnte sie sofort wiederherstellen. Darüber mache ich mir nicht die geringsten Sorgen.»
Sie fühlte sich jetzt verletzt. Schließlich, wenn das Buch nicht von mir, sondern auch von ihr handelte . . . und so weiter. Aber ich blieb unerbittlich.
Da ich wußte, daß sie die Wohnung auf den Kopf stellen würde, um die Notizen zu finden, gab ich ihr zu verstehen, daß ich sie bei meinen Eltern versteckt hätte. «Ich habe sie so versteckt, daß niemand sie finden kann.» Ich sah aber an ihrem Gesicht, daß sie mir diese Flunkerei nicht abnahm. Sie fand sich jetzt anscheinend damit ab und tat so, als dächte sie nicht mehr daran.
Um sie wieder milde zu stimmen, sagte ich ihr, daß sie, wenn das Buch je geschrieben würde und das Licht des Tages erblickte, dadurch unsterblich werden würde, und da das ein wenig großsprecherisch klang, setzte ich hinzu: «Du wirst dich vielleicht nicht immer wiedererkennen, aber das verspreche ich dir, wenn ich dein Porträt so male, wie ich es im Sinn habe, wird man dich nie mehr vergessen.»
Das schien sie zu rühren. «Du sprichst, als wärest du deiner Sache todsicher», sagte sie.
«Ich habe Grund dazu. Dieses Buch habe ich gelebt . Ich könnte überall damit beginnen und mich immer zurechtfinden ... Es ist wie eine Rasenfläche, auf der tausend Sprüher stehen, ich brauche nur den Hahn aufzudrehen.» Ich tippte mich an den Kopf. «Es steht alles hier drin ... in unsichtbarer ... ich meine, unzerstörbarer Tinte.»
«Willst du darin wirklich die Wahrheit sagen — über uns?»
«Natürlich. Über jeden, nicht nur über uns.»
«Und du glaubst, du wirst für ein solches Buch einen Verleger finden?»
«Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht», erwiderte ich. «Zuerst muß ich das Buch schreiben.»
«Aber den Roman wirst du doch hoffentlich vorher fertigmachen?»
«Ja, sicher. Das Stück vielleicht auch.»
«Das Bühnenstück? O Val, das wäre wunderbar.»
So endete die Unterhaltung.
Wieder erhob sich die kitzlige Frage: wie lange wird dieser Friede und diese Ruhe dauern? Dem Frieden ist nicht zu trauen. Dieses Wort konnte man auch auf unseren jetzigen Zustand anwenden. Ich dachte an Hokusai, das Auf und Ab seines Lebens, seine neunhundertsiebenundvierzig Wohnungswechsel, seine Ausdauer, seine unglaubliche
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