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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Frauen hatten alle rote Hände und blaue Finger — von der Kälte, "vom Schrubben, Waschen und Spülen. (Aber der Sohn, bereits ein Genie, hatte lange, spitz zulaufende Finger mit schwieligen Kuppen. Es würde nicht lange dauern, dann würde er in Carnegie Hall spielen.) Nirgendwo in der gut gepolsterten Welt der Gojim, aus der ich stammte, war ich je auf ein Genie oder auch nur auf ein Dreiviertelgenie gestoßen. Selbst ein Buchladen war dort schwer zu finden. Wohl Kalender, ja, in großen Haufen, die vom Metzger oder Krämer geliefert wurden. Nie ein Holbein, ein Carpaccio, ein Hiroshige, ein Giotto und auch kein Rembrandt. Möglicherweise Whistler, aber nur das Bild von seiner Mutter, dieses friede lieh dreinschauenden Wesens, mit den im Schoß gefalteten Händen, so resigniert, so ungemein achtbar. Nein, unter uns schäbigen Christen war nichts vorhanden, was nach Kunst roch. Aber Metzgerläden in Hülle und Fülle mit saftigem Schweinefleisch und Kaidaunen und Mägen aller Art. Und natürlich Linoleum, Besen und Blumentöpfe. Alles aus dem Tier- und Pflanzenreich, dazu Eisenwaren, deutscher Käsekuchen, Knackwurst und Sauerkraut. Eine Kirche für jeden Block, ein traurig aussehender Kasten, wie ihn nur Lutheraner und Presbyterianer aus den Tiefen ihres sterilisierten Glaubens hervorbringen konnten. Und dabei war Christus ein Zimmermann! Er hatte eine Kirche gebaut, aber nicht aus Holz und Stein.

15
    Alles lief weiter wie geschmiert. Es war die reinste Flitterwochenzeit. Wenn ich einen Spaziergang machte, regten mich selbst die kahlen Bäume an. Wenn ich Reb in seinem Laden besuchte, kam ich sowohl mit Ideen wie auch mit Hemden, Schlipsen, Handschuhen und Taschentüchern beladen nach Hause. Wenn ich unserer Wirtin begegnete, brauchte ich keine Entschuldigungen über rückständige Miete zu stammeln. Wir hatten Geld in Hülle und Fülle, dazu hätten wir Kredit in beliebiger Höhe haben können, wenn es nötig gewesen wäre. Selbst die jüdischen Feiertage gingen angenehm vorüber, denn wir waren hier und dort eingeladen. Wir befanden uns bereits tief im Herbst, aber diese Jahreszeit bedrückte mich nicht mehr so wie sonst. Das einzige, was ich vielleicht vermißte, war ein Fahrrad.
    Ich hatte noch ein paar weitere Lektionen am Steuerrad erhalten und hätte jederzeit um einen Führerschein einkommen können. Dann wollte ich mit Mona eine Autofahrt unternehmen, wie Reb mir vorgeschlagen hatte. Mittlerweile hatte ich die Bekanntschaft seiner Negermieter gemacht. Es waren brave Leute, wie Reb mir schon gesagt hatte. Jedesmal, wenn wir die Miete einkassiert hatten, kamen wir mit schweren Lidern und feucht-fröhlich heim. Ein Mieter, der beim Zoll angestellt war, bot mir Bücher zum Mitnehmen an. Er besaß eine erstaunliche Bibliothek erotischer Werke, die er alle bei der Ausübung seiner amtlichen Tätigkeit geklaut hatte. Ich hatte noch nie so säuische Bücher und so schmutzige Fotos gesehen. Sie machten mich neugierig, was für verbotene Früchte dieser Art wohl die berühmte vatikanische Bibliothek enthielte.
    Dann und wann gingen wir ins Theater. Gewöhnlich sahen wir uns ausländische Stücke an - von Georg Kaiser, Ernst Toller, Wedekind, Werfel, Sudermann,Tschechow und Andrej ew. Gerade war die irische Schauspielgruppe eingetroffen und hatte Juno and the Paycock und The Plough and the Stars mitgebracht. Was für ein Dramatiker war dieser Sean O'Casey! Seit Ibsen war kein solcher mehr dagewesen.
    Wenn die Sonne schien, setzte ich mich in den Fort Green Park und las — Idle Days in Patagonia, Haunch, Paunch and Jowl oder Das tragische Lebensgefühl (von Unamuno). Wenn ich schnell eine Schallplatte hören wollte, die ich nicht besaß, konnte ich sie mir von Reb oder von unserer Wirtin ausleihen. Wenn wir keine Lust zum Arbeiten hatten, spielten wir Schach, Mona und ich. Sie spielte nicht besonders, aber ich auch nicht. Es war interessanter, die in den Schachbüchern aufgeführten Partien, besonders die von Paul Morphy, nachzuspielen oder über die Entwicklung des Spiels zu lesen oder über die Rolle, die das Schachspiel bei den Isländern oder den Malaien spielte.
    Nicht einmal der Gedanke, daß ich meine Leute besuchen mußte -am Erntedanktag -, konnte mich niederdrücken. Jetzt konnte ich ihnen erzählen - ich brauchte nur halb zu lügen -, daß ich einen Auftrag für ein Buch hatte und daß ich für meine Mühe Geld bekam. Das würde ihnen in die Krone steigen! Ich war voller freundlicher Gedanken. Alles

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