Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
Vom Netzwerk:
Vergangenheit war (und auch der Zukunft), beglückwünschte mich, weil ich wie in einer Gebärmutter oder in einem Grab lebte ... Ja, es war wirklich ein hübsches Zimmer, eine hübsche Wohnung, und alles, was wir dazu beigetragen hatten, sie noch wohnlicher zu machen, spiegelte die innere Schönheit des Lebens wider - des Lebens der Seele.
    «Sie sitzen da mit Ihren Gedanken und sind Herrscher der Welt.» Diese unschuldige Bemerkung Rebs hatte sich in meinem Gehirn festgesetzt und mir einen solchen Gleichmut gegeben, daß ich eine Weile das Gefühl hatte, ich wüßte wohl, was es bedeutete, Herrscher der Welt zu sein. Herrscher! König! Das ist jemand, der hoch und niedrig Huldigungen erweisen kann, der so weise und so von Liebe erleuchtet ist, daß nichts seiner Aufmerksamkeit oder seinem Verständnis entgeht. Kurz, der poetische Vermittler zwischen Himmel und Erde, einer, der nicht über die Welt herrscht, sondern sie mit jedem Atemzug verehrt.
    Ich stand wieder vor der Alltagswelt Hokusais ... Warum hatte dieser große Meister des Pinsels sich die Mühe gemacht, die allzu gewöhnlichen Elemente der Welt wiederzugeben? Um seine Geschicklichkeit zu zeigen? Unsinn. Seine Liebe auszudrücken, zu beweisen, daß sie sich weit nach allen Richtungen erstreckte, daß sie die Dauben eines Fasses einschloß, einen Grashalm, die schwellenden Muskeln eines Ringers, den im Wind schräg fallenden Regen, den Schaum einer Welle, die Rückenflossen eines Fisches, kurz alles? Eine fast unmögliche Aufgabe, wenn die Freude an ihr sie nicht beflügelt hätte.
    Er liebe die Kunst des Ostens, hatte Reb gesagt. Als ich mir seine Worte ins Gedächtnis rief, stand plötzlich der ganze indische Kontinent vor mir auf. Dort, inmitten des summenden Bienenkorbs der Menschheit, waren die pulsierenden Überreste einer Welt, die immer wahrhaft erstaunlich bleiben wird. Reb hatte von den aus Kunstbüchern gerissenen farbigen Seiten, die ebenfalls an den Wänden hingen, keine Notiz genommen oder nichts über sie gesagt, Reproduktionen von Tempeln und Stupas aus dem Dekkan, von ausgemeißelten Höhlen und Grotten, von Wandmalereien und Fresken, welche die überwältigenden Mythen und Legenden eines von Form und Bewegung, von Leidenschaft und Wachstum, von Ideen und dem Bewußtsein selbst trunkenen Volkes darstellten. Nur ein Blick auf eine Anzahl zusammenstehender, aus der Wärme und dem üppigen pflanzlichen Wuchern des indischen Bodens aufsteigender Tempel erweckte in mir das Gefühl, als schaute ich das Denken selbst an, das sich zu befreien sucht und so, in künstlichem oder natürlichem Stein entfaltet, gewaltigere Vorstellungen und größere Ehrfurcht erweckte als Worte.
    So oft ich seine Worte auch gelesen hatte, ich konnte sie mir nie einprägen. Ich war jetzt begierig auf die Flut sich überstürzender Bilder, jener großen berauschenden Wendungen, Sätze und Abschnitte -auf die Worte des Mannes, der mir die Augen für diese erstaunlichen Schöpfungen Indiens geöffnet hatte: Elie Faure. Ich holte mir jetzt den Band, den ich so oft durchblättert hatte, Band II seiner Geschichte der Kunst , und schlug den Abschnitt auf, der also begann: «Für die Inder ist die ganze Natur göttlich . . . Nur eines stirbt in Indien nicht, der Glaube ...» Dann folgen die Zeilen, die mich, als ich sie zum erstenmal las, schwindlig machten:
    «In Indien geschah dies: von einem feindlichen Einfall, einer Hungersnot oder einem Ausbruch wilder Tiere getrieben, strömten Tausende von Menschen nach Norden oder nach Süden. An der Küste des Meeres oder am Fuß eines Berges stießen sie auf eine große Mauer aus Granit. Sie drangen in diesen Granit ein. In seinem Schatten wohnten, liebten, arbeiteten, starben sie und wurden in ihm geboren, und drei oder vier Jahrhunderte später kamen sie meilenweit entfernt wieder heraus, denn sie hatten den Berg durchbohrt. Hinter sich ließen sie den ausgehöhlten Fels, die nach allen Richtungen hin laufenden Gänge, seine zu Skulpturen ausgemeißelten Wände, seine natürlichen oder künstlichen Pfeiler, die zu einem Spitzengewebe mit zehntausend schrecklichen oder bezaubernden Gestalten verwandelt waren, mit Göttern ohne Zahl und ohne Namen, Männern, Frauen und Tieren -eine sich in Dunkelheit hinwälzende Flut animalischen Lebens. Manchmal, wenn sie keinen freien Platz auf ihrem Wege fanden, höhlten sie inmitten der Felsmasse einen Abgrund aus, um in ihm einen kleinen schwarzen Stein unterzubringen.
    In diesen

Weitere Kostenlose Bücher