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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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ihre Meinung über diesen oder jenen Autor zu äußern. An jenem Abend hatten wir uns wohl einen Vortrag über einen zeitgenössischen und angeblich revolutionären Schriftsteller angehört - es scheint mir so, denn plötzlich, als ich auf einmal aufstand und sprach, merkte ich, daß meine Worte nichts mit dem Vorausgegangenen zu tun hatten. Obwohl ich verdattert war - zum erstenmal sprach ich in einer öffentlichen Versammlung, wenn auch in einer zwanglosen wie dieser -, war ich mir doch bewußt oder halb bewußt, daß die Zuhörer hypnotisiert waren. Ich konnte ihre erhobenen Gesichter, ihre Anstrengung, meine Worte aufzunehmen, mehr fühlen als sehen. Meine Augen waren geradeaus gerichtet, auf die Gestalt hinter dem Rednerpult, die jetzt zusammengesunken war und auf den Boden blickte. Wie gesagt, ich war gänzlich verdattert und benommen, ich wußte nicht, was ich sagte noch worauf ich hinauswollte. Ich deklamierte wie in einem Trancezustand. Und worüber sprach ich? Über eine Szene aus einem Hamsunschen Roman, die von einem Astlochgucker handelte. Ich erinnere mich daran, weil ich wahrscheinlich im einzelnen auf die Szene einging und die Zuhörer zuerst etwas kicherten, aber dann gleich still wurden und mit gespannter Aufmerksamkeit zuhörten. Als ich zu Ende war, erhielt ich starken Beifall, es folgte dann eine schmeichelhafte Ansprache des Vorsitzenden. Die Rede dieses ungeladenen Gastes, der zweifellos ein Schriftsteller wäre, obschon sein Name ihm bedauerlicherweise unbekannt sei, habe allgemein gefallen und so weiter. Als die Zuhörer sich langsam zerstreuten, sprang er vom Podium und beglückwünschte mich noch einmal, wobei er sich nach meinem Namen, meinen bisherigen literarischen Leistungen, nach meiner Adresse und so weiter erkundigte. Ich antwortete natürlich unbestimmt und unverbindlich. Ich wurde von einer Panik ergriffen und dachte nur daran, zu entkommen. Aber er hielt mich am Ärmel fest, als ich gehen wollte, und sagte in vollem Ernst und zu meinem Entsetzen:
    «Warum leiten Sie nicht diese Versammlungen? Sie sind dazu viel besser geeignet als ich. Wir brauchen jemand wie Sie, der die Zuhörer in Bann schlägt und begeistert.»
    Ich stammelte etwas als Erwiderung, vielleicht ein halbes Versprechen, und ging auf den Ausgang zu. Draußen fragte ich O'Mara: «Was habe ich eigentlich gesagt - weißt du's ?»
    Er sah mich erstaunt an, als dächte er, ich wolle ein Kompliment von ihm hören.
    «Ich erinnere mich an nichts», sagte ich. «Von dem Augenblick an, wo ich aufstand, verlor ich das Bewußtsein. Ich weiß nur noch dunkel, daß ich über Hamsun gesprochen habe.»
    «Das ist aber schade. Du warst wunderbar. Dein Redefluß stockte nicht einen Augenblick. Die Worte rollten dir nur so aus dem Munde.»
    «Habe ich keinen Unsinn geredet? Das möchte ich gern wissen.»
    «Unsinn? Mensch, du warst so gut wie Powys.»
    «Komm, komm, sag mir doch so was nicht!»
    «Aber es ist so, Henry», beteuerte er und hatte dabei Tränen in den Augen. «Du kannst großartige Vorträge halten. Alle hörten wie gebannt zu. Sie waren auch verdutzt, wußten offenbar nicht, was sie von dir halten sollten.»
    «So war es wirklich gut?» Nur langsam kam mir der ganze Vorgang zum Bewußtsein.
    «Bevor du auf Hamsun zu sprechen kamst, hast du sonst noch allerlei gesagt.»
    «Was zum Beispiel?»
    «Das könnte ich dir wirklich nicht wiederholen. Du hast alles mögliche berührt. Einige Minuten sprachst du sogar von Gott.»
    «Nein! Davon weiß ich nichts - gar nichts.»
    «Was macht das?» sagte er. «Ich wollte, ich könnte auch auf diese Weise bewußtlos werden und dann so sprechen.»
    So war das. Ein unbedeutender, aber doch, aufschlußreicher Zwischenfall. Er hatte keinerlei Folgen. Nie trat ich wieder öffentlich auf oder dachte auch nur im Traum daran. Wenn ich einen Vortrag besuchte — und ich ging damals in viele -, saß ich mit offenem Mund und offenen Ohren da, hingerissen lauschend, überwältigt, eine leicht knetbare Gestalt aus Wachs wie alle anderen um mich. Es fiel mir nie ein, aufzustehen und eine Frage zu stellen, noch weniger, Kritik zu üben. Ich kam, um mich belehren zu lassen, um etwas in mich aufzunehmen. Nie sagte ich mir: «Auch du könntest aufstehen und eine Rede halten, auch du könntest mit deiner Rednergabe die Zuhörer hinreißen, auch du könntest über einen Autor reden und seine Verdienste in blendender Weise darlegen.» Nein, nie kam mir dieser Gedanke. Wenn ich ein Buch las, erhob ich

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