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Nexus

Nexus

Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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wohl am Ende eines glänzenden Abschnitts meine Augen von der Seite und sagte mir: «Auch du könntest so schreiben. Du hast es ja tatsächlich schon getan. Nur tust du es nicht oft genug.» Und dann las ich weiter, als gehorsames Opfer, als allzu williger Schüler. Ein so guter Schüler war ich, daß ich bei guter Stimmung und passender Gelegenheit das Buch, das ich gerade gelesen hatte, fast so gut erklären, zergliedern und kritisieren konnte, als hätte ich es selbst geschrieben, wobei ich nicht die eigenen Worte des Schriftstellers gebrauchte, aber mich seiner Ausdrucksweise anpaßte, so daß meine Worte Gewicht erhielten und mir Respekt eintrugen. Und fast immer bei solchen Gelegenheiten fragte man mich: «Warum schreibst du nicht selbst ein solches Buch?» Worauf ich mich zuschloß wie eine Muschel oder alles ins Spaßhafte kehrte, nur um ihnen Sand in die Augen zu streuen. In Gegenwart von Freunden und Bewunderern und sogar Gläubigen - denn es wurde mir immer leicht, mir einen Kreis von «Gläubigen» zu schaffen - betonte ich immer, ich würde vielleicht zukünftig etwas schreiben.
    Aber wenn ich allein war und nüchtern über meine Worte und Leistungen nachdachte, überfiel mich fast jedesmal das Gefühl, von allen Verbindungen abgeschnitten zu sein. «Sie kennen mich nicht», sagte ich mir dann, womit ich meinte, daß sie weder wußten, was ich für mich war, noch was ich einmal werden konnte. Ich machte nur durch die Maske Eindruck auf sie. Ich sagte das nicht laut, aber in diesem Licht erschien mir meine Fähigkeit, Eindruck auf andere zu machen. Nicht ich tat das, sondern eine persona , mit der ich mein eigenes Wesen verhüllte. Ein jeder mit einiger Intelligenz und einer Nase für Schauspielerei hätte das lernen können. Affenpossen — mit anderen Worten. Aber obwohl ich diese Darbietungen in diesem Licht betrachtete, fragte ich mich manchmal, ob schließlich vielleicht nicht ich hinter diesen Possen stand.
    Es war die Strafe dafür, daß ich allein lebte und allein arbeitete, nie einem verwandten Geist begegnete, nie den Saum des geheimen, inneren Kreises berührte, in dem alle diese Zweifel und Konflikte, die mich plagten, ans Licht gebracht, geteilt, erörtert und analysiert und, wenn nicht behoben, so doch wenigstens gelüftet werden konnten.
    War es nicht natürlich, daß ich mich bei den sonderbaren Gestalten aus der Welt der Kunst - Malern und Bildhauern, besonders aber Malern - heimisch fühlte? Ihre Werke sprachen in geheimnisvoller Weise zu mir. Hätten sie Worte dazu gebraucht, wäre ich vielleicht verblüfft gewesen. Wie fern auch ihre Welt von unserer war, die Bestandteile waren dieselben: Felsen, Bäume, Berge, Wasser, Theater, Arbeit, Spiel, Kostüme, Kultus, Jugend und Alter, Hurerei, Koketterie, Mimikri, Krieg, Hunger, Qual, Intrigen, Laster, Lust, Freude und Kummer. Ein tibetisches Rollbild mit seinen Mandalas, seinen Göttern und Teufeln, seinen sonderbaren Symbolen, seinen vorgeschriebenen Farben, war mir als ein Teil von mir ebenso vertraut wie die Nymphen und Kobolde, die Ströme und Wälder eines europäischen Malers.
    Aber näher als die chinesische, japanische oder tibetische Kunst ist mir die aus dem Berg selbst geborene Kunst Indiens. (Als wenn die Berge von Träumen schwanger würden und ihre Träume zur Welt brächten, wobei sie die armen Menschlein, die das Gestein aushöhlten, als Werkzeug benutzten.) Es war die gräßlich unförmige Natur — wenn wir von den Grandiosen so sprechen können —, ja, die wahrhaft monströse Natur dieser Schöpfungen, die mich so ansprach, die einem unausgesprochenen Hunger in meinem eigenen Wesen entgegenkam. Wenn ich mich unter meinem eigenen Volk bewegte, so machte keine seiner Leistungen Eindruck auf mich. Nie fühlte ich das Bestehen eines tiefen religiösen Dranges, auch keinen großen ästhetischen Trieb. Es gab keine erhabene Architektur, keine heiligen Tänze, keinen Ritus irgendwelcher Art. Der Menschenschwarm, in dem wir uns bewegten, war nur auf eins bedacht: sich das Leben zu erleichtern. Die großen Dämme, die großen Brücken, die großen Wolkenkratzer ließen mich kalt. Nur die Natur konnte ein Gefühl der Ehrfurcht in mir erwecken. Und wir verunstalteten die Natur an allen Ecken und Enden. Jedesmal, wenn ich einen Streifzug durch das Land unternahm, kam ich mit leeren Händen zurück. Nichts Neues, nichts Bizarres, nichts Exotisches. Schlimmer noch, es gab nichts, vor dem man sich verbeugen, nichts, das man verehren

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