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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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herunter, ich war bereits an der Küste, ging auf den Boulevards der Lichtstadt spazieren, nahm den Hut vor diesem und jenem ab, übte mich in französischen Ausdrücken. «S'il vous platt, monsieur. - A votre Service, madame. — Quelle Celle journee, n'est-ce pas? - C'est moi qui avais tort . — A quoi hon se plaindre, la vie est belle!» Et cetera, et cetera . (Alles in imaginärem, anmutigem Französisch.)
    Ich gönnte mir sogar den Genuß, eine imaginäre Unterhaltung mit einem Pariser zu führen, der so viel Englisch verstand, daß er mir folgen konnte. Es war einer jener köstlichen Franzosen (denen man nur in Büchern begegnet), die sich immer für die Bemerkungen eines Ausländers interessieren, und mögen diese noch so trivial sein. Wir hatten ein beiderseitiges Interesse an Anatole France entdeckt. (Wie einfach sind doch solche Verbindungen in der Welt der Träumerei!) Und ich, der geschwollene Idiot, eröffnete die Unterhaltung mit der Erwähnung eines englischen Sonderlings, der ebenfalls France geliebt hatte - das Land, nicht den Autor. Entzückt durch meine Bezugnahme auf einen berühmten Boulevardier jener Zeit, des fin-de-siecle , wollte mich mein Begleiter unbedingt zur Place Pigalle führen, um mir ein Lokal zu zeigen, in dem damals bekannte Literaten verkehrten - Le Rat Mort. «Aber, Monsieur», sagte ich, «Sie sind zu gütig.» — «Mais non, monsieur, c'est un privilege.» Und so fort. All dieser Unsinn, diese schmeichelnden Redensarten und diese flänerie geschahen unter einem metallisch grünen Himmel, der Boden war mit herbstlich fahlen Blättern bestreut, auf allen Tischen standen schimmernde Siphons -und nicht ein einziges Pferd mit gestutztem Schwanz war zu sehen. Kurz, es war das vollkommene Paris, der vollkommene Franzose, der richtige vollkommene Tag für eine Unterhaltung auf einem Verdauungsspaziergang.
    «Europa», so schloß ich die Unterhaltung für mich, «mein Paris, geliebtes Europa, enttäuscht mich nicht. Paris, selbst wenn du nicht alles das bist, was ich mir vorstelle, wonach ich mich sehne und was ich dringend brauche, gewähre mir wenigstens die Illusion, diese stille Zufriedenheit zu genießen, die dein Name in mir hervorruft. Mögen seine Bewohner mich über die Achsel ansehen, mögen sie mich verachten, aber laß mich hören, daß sie so miteinander sprechen, wie ich es mir vorgestellt habe. Laß mich trinken von dem Fluidum dieser kühnen, schweifenden Geister, die sich nur im Universalen vergnügen, die (von der Wiege an) darin geübt sind, Poesie mit Tatsachen und Taten zu mischen, die sich an dem Hauch einer Nuance entzünden, höher und höher steigen, die erhabensten Flüge unternehmen und doch alles mit Witz, Bosheit, Gelehrsamkeit, mit dem Salz und der Würze vollendeter Weltleute durchdringen. Zeige mir nicht, deiner alten Kultur treues Europa, ich bitte dich, die glatte Oberfläche eines dem Fortschritt gewidmeten Kontinents. Ich will dein altes, abgehärmtes Gesicht sehen, mit seinen durch den jahrhundertelangen Kampf in der Arena des Denkens entstandenen Narben. Ich komme als Pilger, als frommer Pilger, der nicht nur glaubt , sondern weiß , daß die unsichtbare Seite des Mondes herrlich ist, herrlich über alle Vorstellungen hinaus. Ich habe nur das geisterhafte, pockennarbige Gesicht des Himmelskörpers gesehen, der um uns kreist. Zu gut kenne ich diese Anhäufung erloschener Vulkane, dürrer Bergketten, luftleerer Wüsten, deren riesige Spalten sich wie Krampfadern über die herzbrechende, herzlose Leere verteilen. Nimm mich auf, du altes Land, nimm mich auf als Büßer, als einen, der noch nicht ganz verloren, aber weit in die Irre gegangen ist, als einen Wanderer, der von Geburt an dazu geschaffen war, sich aus der Sicht seiner Brüder und Schwestern, seiner Führer, Lehrer und Tröster zu entfernen.»
    Am Ende meines Gebets stand Ulric, genau wie er an dem Tag aussah, als ich ihm an der Ecke der Sixth Avenue und der 52nd Street begegnete, der Mann, der in Europa und auch in Afrika gewesen war, und in dessen Augen noch das Erstaunen über den Zauber jener Welt glühte. Von ihm erhielt ich eine Blutübertragung, er goß mir Glauben und Mut in die Adern. Hodie mihi, aas tibi! Da war nun Europa und wartete auf mich. Es würde immer dasselbe sein, ob nun Krieg, Revolution, Hungersnot, Frost oder sonst was herrschte. Immer ein Europa für die hungernde Seele. Wenn ich auf seine Worte lauschte, sie in tiefen Zügen in mich hineintrank, mich fragte, ob es

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