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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Brett. Selbst als er in guter Absicht die Bemerkung machte, sie hätte besser ein Mann werden sollen, ergab das keine Schwierigkeit.
    Als plötzlich das Familienalbum vorgelegt wurde, geriet sie beinahe in Ekstase. Was für eine herrliche Sammlung seltsamer Käuze. Onkel Theodor aus Hamburg: ein stutzerhaft herausgeputzter Pedant. Georg Schindler aus Bremen: ein martialischer Beau Brummel, der die Mode von 1880 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges verteidigte und beibehielt. Heinrich Müller, der Großvater väterlicherseits aus Bayern: ein Anhänger des Kaisers Franz Joseph. George Insel: der Familienidiot, mit dem Ausdruck einer geistesgestörten Ziege und einem mächtigen aufgezwirbelten Schnurrbart à la Kaiser Wilhelm. Die Frauen waren rätselhafter. Die Großmutter mütterlicherseits, die ihr halbes Leben im Irrenhaus zugebracht hatte, hätte die Heldin eines Romans von Walter Scott sein können. Tante Lizzie, das Ungeheuer, die mit ihrem eigenen Bruder geschlafen hatte, eine munter dreinschauende alte Vettel, Haare wie Rattenschwänze und ein messerscharfes Lächeln. Tante Annie mit einem Badeanzug, darin sie aussieht wie ein Mack Sennett-Filmclown, reif für den Hundezwinger. Tante Amalie, die Schwester meines Vaters: ein Engel mit sanften braunen Augen . . . ganz überirdische Seligkeit. Mrs. Kicking, die betagte Haushälterin: offenbar schrullig, häßlich wie die Sünde, das Gesicht mit Warzen und Karbunkeln bedeckt. . .
    Das Album brachte uns auf das Thema der Genealogie. Vergeblich bestürmte ich meine Eltern mit Fragen. Über die eigenen Eltern hinaus verlor sich der Stammbaum im Dunkeln.
    Aber hatten denn ihre Eltern nie von ihren Verwandten gesprochen?
    Doch, aber sie könnten sich jetzt nicht mehr entsinnen.
    «Gab es Maler unter ihren Vorfahren?» erkundigte sich Stasia.
    Weder mein Vater noch meine Mutter konnten hierauf eine bejahende Antwort geben.
    «Aber Dichter und Musiker schon», sagte meine Mutter.
    «Und Seeleute und Bauern», setzte mein Vater hinzu.
    «Weißt du das genau?» fragte ich.
    «Warum interessierst du dich denn so dafür?» sagte meine Mutter. «Sie sind doch alle schon längst tot.»
    «Ich möchte es wissen», antwortete ich. «Eines Tages werde ich nach Europa gehen und dort selbst nachforschen.»
    «Da kannst du lange suchen», meinte meine Mutter.
    «Das macht nichts. Ich möchte mehr von meinen Vorfahren wissen, vielleicht waren sie nicht alle Deutsche.»
    «Ja», sagte Mona, «vielleicht ist auch slawisches Blut in der Familie.»
    «Manchmal sieht er wie ein Mongole aus», sagte Stasia in ihrer Unschuld.
    Diese Bemerkung erschien meiner Mutter absolut lächerlich. Ein Mongole war für sie ein Idiot.
    «Er ist Amerikaner», sagte sie. «Wir sind jetzt alle Amerikaner.»
    «Ja», bekräftigte Lorette diese Feststellung.
    «Was, ja?» sagte mein Vater.
    «Er ist auch Amerikaner», sagte Lorette und setzte dann hinzu: «Aber er liest zuviel.»
    Wir brachen alle in Lachen aus.
    «Und zur Kirche geht er auch nicht mehr.»
    «Jetzt genügt's aber», sagte mein Vater. «Wir gehen auch nicht zur Kirche, aber wir sind trotzdem Christen.»
    «Er hat zu viele jüdische Freunde.»
    Da mußten wir wieder alle lachen.
    «Jetzt wollen wir aber was essen», meinte mein Vater. «Ich glaube, sie wollen bald heimgehen. Morgen ist auch noch ein Tag.»
    Wieder wurde der Tisch gedeckt. Diesmal gab es einen kalten Imbiß mit Tee und dazu nochmals Plumpudding. Lorette zog die ganze Zeit schnüffelnd die Luft durch die Nase.
    Eine Stunde später verabschiedeten wir uns.
    «Erkältet euch nicht», mahnte meine Mutter. «Es sind drei Blocks bis zur Hochbahnstation.»
    Sie wußte, wir würden ein Taxi nehmen, aber dieses Wort sprach sie ebenso ungern aus wie das Wort Kunst.
    «Sehen wir euch bald wieder?» fragte Lorette am Tor.
    «Ich glaube schon», antwortete ich.
    «Neujahr?»
    «Vielleicht.»
    «Bleibt nicht zu lange aus», sagte mein Vater freundlich. «Und viel Glück mit dem Schreiben.»
    An der Ecke riefen wir ein Taxi.
    «Huh!» sagte Stasia, als wir einstiegen.
    «Es war gar nicht so übel, nicht wahr?»
    «N .. .n.. .nein. Gott sei Dank habe ich keine Verwandten zu besuchen.»
    Wir machten es uns auf unseren Sitzen bequem. Stasia schleuderte die Schuhe von den Füßen.
    «Dieses Album!» sagte sie. «Ich habe noch nie eine solche Sammlung von Halbidioten gesehen. Es ist ein Wunder, daß du geistig gesund bist, weißt du das?»
    «Das ist in den meisten Familien so», erwiderte ich. «Der

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