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Nexus

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Titel: Nexus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Miller
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Arbeiten.»
    Lorette brachte das Bild. Stasia nahm es ihr ab und betrachtete es anscheinend mit regem Interesse. Ich fürchtete, sie würde etwas zu Akademisches darüber sagen, aber nein, sie war sehr taktvoll und feinfühlig. Sie sagte, es sei sehr schön ausgeführt. . . und zeuge von großem Geschick.
    «Mit Aquarellfarben malt sich's nicht leicht», erklärte sie. «Hat er auch Ölbilder gemalt? Über Aquarelle kann ich nicht kompetent urteilen. Aber ich sehe, er wußte, was er wollte.» Sie legte eine Pause ein. Dann, als wäre ihr jetzt ein Licht aufgegangen, sagte sie: «Es gibt einen Aquarellmaler, den ich wirklich bewundere. Das ist -»
    «John Singer Sargent!» rief mein Vater.
    «Richtig! Wie haben Sie das gewußt? Ich meine, wie wußten Sie, daß ich ihn im Sinn hatte?»
    «Es gibt nur einen Sargent», beteuerte mein Vater. Das war ein Spruch, den er oft von seinem Vorgänger, Isaac Walker, gehört hatte. «Es gibt nur einen Sargent, wie es nur einen Beethoven, einen Mozart, einen da Vinci gibt. . . Habe ich recht?»
    Stasia strahlte. Sie bekam jetzt Mut, offen zu reden. Sie warf mir einen Blick zu, der besagte: «Warum hast du mir nichts von dieser Seite deines Vaters erzählt?»
    «Ich habe sie alle studiert», sagte sie, «und jetzt versuche ich, mich selbst zu finden. Ich bin nicht ganz so verrückt, wie ich eben behauptet habe. Ich weiß nur mehr, als ich verdauen kann, das ist alles. Ich habe Talent, aber kein Genie. Ohne Genie ist alles nichts. Und ich möchte gern ein Picasso sein . . . ein weiblicher Picasso . . . keine Marie Laurencin. Verstehen Sie, was ich sagen will?»
    «Gewiß», sagte mein Vater. Meine Mutter übrigens war inzwischen aus dem Zimmer gegangen. Ich konnte hören, wie sie mit den Töpfen und Pfannen hantierte. Sie hatte eine Niederlage erlitten.
    «Er hat das nach einem berühmten Gemälde kopiert», sagte mein Vater, indem er auf John Imhofs Aquarell zeigte.
    «Das macht nichts», sagte Stasia. «Viele Künstler haben die Werke anderer kopiert, die ihnen besonders gut gefielen . . . Aber was ist aus diesem John In .. . Was ist aus ihm geworden? Sie sagten ...»
    «Er lief mit einer anderen Frau davon, nach Deutschland, wo er sie als Knabe kennengelernt hatte. Dann kam der Krieg, und wir hörten nichts mehr von ihm. Wahrscheinlich ist er umgekommen.»
    «Wie stellen Sie sich zu Raffael und seinen Arbeiten?»
    «Seine Entwürfe sind nicht zu übertreffen», antwortete mein Vater ohne Zögern. «Ein ganz hervorragender Zeichner. Und Correggio - ein anderer großer Maler. Und Corot! Ein guter Corot ist nicht zu schlagen. Für Gainsborough habe ich nie viel übrig gehabt. Aber Sisley...»
    «Sie kennen sie anscheinend alle», sagte Stasia, die jetzt gern den ganzen Abend so weitergemacht hätte. «Mögen Sie die Modernen auch?»
    «Sie meinen John Sloan, George Luks und ähnliche?»
    «Nein, ich meine Maler wie Picasso, Miro, Matisse, Modigliani ...»
    «Über die ganz moderne Richtung bin ich nicht im Bilde», sagte mein Vater, «aber die Impressionisten gefallen mir. Und Renoir natürlich, doch er ist kein Moderner, nicht wahr?»
    «In gewisser Hinsicht schon», sagte Stasia. «Er hat den anderen den Weg geebnet.»
    «Sicher hat er mit Liebe gemalt, das sieht man», sagte mein Vater. «Er war auch ein guter Zeichner. Alle seine Bilder von Frauen und Kindern sind auffallend schön. Sie bleiben einem im Gedächtnis. Und dann die Blumen und die Kostüme . . . Alles so fröhlich, so fein, so lebendig! Er war der Maler seiner Zeit, das müssen Sie zugeben. In dieser Zeit ließ sich leben: die heitere Stadt Paris, Picknicks an der Seine, Moulin Rouge, herrliche Gärten ...»
    «Bei Ihrer Schilderung fällt mir Toulouse-Lautrec ein», sagte Stasia.
    «Monet, Pissarro ...»
    «Poincare», funkte ich dazwischen.
    «Strindberg!» rief Mona.
    «Ja, ein anbetungswürdiger Verrückter», sagte Stasia.
    In diesem Augenblick steckte meine Mutter den Kopf ins Zimmer. «Sprecht ihr noch immer von Verrückten? Ich dachte, ihr wärt längst fertig damit.» Sie sah von einem "zum anderen, stellte fest, daß wir uns gut unterhielten, und zog sich wieder zurück. Es war zuviel für sie. Gespräche über Kunst durfte man nicht in so ausgelassener Stimmung führen. Schon der Klang dieser sonderbaren ausländischen Namen beleidigte ihr Ohr. Gänzlich unamerikanisch.
    So kamen wir dank Stasia weit besser durch den Nachmittag, als ich erwartet hatte. Bei dem Alten hatte sie jetzt sicher einen Stein im

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